Meinen Text „Wollen Sie nicht gewinnen?“ findet ihr jetzt auch als BookRix-Veröffentlichung:
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War es nicht gerade das Geheimnisvolle, das mich angezogen hatte? Dieser Blick aus den Augen einer Leopardin?
Vom ersten Moment an hatte ich mir gewünscht, ihr zum Opfer zu fallen. War ich nun, nachdem ich schon fast verzweifelt aufgegeben hatte, endlich dem Ziel dieser Wünsche näher gekommen?
Ohne Zweifel. Denn ich befand mich allein mit ihr in einem abgedunkelten Zimmer. Ihrem Zimmer. Nur das Licht einer Kerze ließ ihre Augen funkeln.
Ihr Blick verriet mir, dass ich hoffnungslos verloren war. Sie musste nicht heucheln. Ich hatte begriffen, was unbegreiflich war. Und ich sah keinen Grund, mich dagegen zu wehren.
Ihre Kleidung und was ich im Schein der Kerze von der Einrichtung erkennen konnte, versetzte mich in eine andere Zeit. Eine andere Welt, die nun betreten wurde von einem weiteren Wesen, nicht weniger fesselnd als meine Leopardin, doch das Haupt schwarz behaart. Ein Panther!
Stumm saß ich ihnen gegenüber, still maßen mich ihre Blicke.
Dann, ein Schnurren! Auf leisen Sohlen näherten sie sich, zum Sprung bereit.
Sie spielten ein Spiel, spielten mit ihrer Beute. Sanft strichen ihre Pfoten über meinen Leib, die Krallen verborgen. Verräterisch kitzelte das Haar der einen meine Brust, liebkoste die Nase der anderen meinen Bauchnabel.
Es war kein Sträuben, das alle Härchen an meinem Körper aufrichtete. Die Erregung schickte mir heiße und kalte Schauer. Und als meine Männlichkeit auferstand, fühlte ich den Betrug, den dieses Wort der Stärke in sich barg. Doch ich lächelte.
Lächelte noch, als sie die Zähne bleckten, die Krallen aus den Tatzen fuhren, aus dem Schnurren ein Fauchen wurde und ich, in diesem Moment höchsten Glücks, dem Tod entgegensah.
Aus der Höhle drang ein modriger Gestank. Mark fragte sich zum wiederholten Mal, warum er all diese Strapazen auf sich genommen hatte. Der Dschungel, die Gefahren, die Moskitos …
Zum ersten Mal aber stellte er sich die Frage: Wer oder was war der Wächter, von dem die Aufzeichnungen sprachen?
„Wollen wir es wagen?“ Dr. Hunt schaute in die Runde.
Die deutsche Schönheit würde sich nicht abhalten lassen, auch diesen letzten Schritt zu gehen. Mark hatte gehofft, seiner Auftraggeberin während der Expedition näher zu kommen, aber sie interessierte sich nur für das Vermächtnis ihres Vaters.
Auch der wortkarge Skut schien entschlossen. Beinahe ausschließlich durch Gesten wies er seine Männer an, den größten Teil des Proviants vor der Höhle zu verstecken. Er überprüfte sein Gewehr und schritt voraus. Dr. Hunt folgte ihm. Auch die anderen zögerten nicht.
Mark starrte in die Dunkelheit des Lochs, in dem seine Begleiter verschwunden waren, die durch die tanzenden Lichtkegel der Taschenlampen noch hervorgehoben wurde. Er wollte da nicht rein! Selbst der üppige Lohn konnte ihn nicht reizen. Und das Versprechen in den Augen und dem Lächeln Dr. Hunts, das sie ihm gegeben hatte, als sie ihn zu dieser Expedition überredet hatte, war entweder eingebildet oder geheuchelt gewesen. Einem Feigling wie ihm brachte sie kaum mehr als Verachtung entgegen.
Plötzlich stand sie wieder im Höhleneingang. Sollte sie aufgegeben haben? Mark spürte einen Anflug von Hoffnung.
„Mark, worauf warten Sie noch? Wir brauchen Sie. Ohne Sie werden wir scheitern. So kurz vor dem Ziel.“
Sie lächelte ihn an. Zum ersten Mal, seit sie aufgebrochen waren. Mark schulterte seinen Rucksack.
Der Gestank wurde unerträglich. Es roch nach Tod. Mark hielt sich die Nase zu. Er wusste nicht, wie lange sie sich schon durch die Nacht der Höhle gekämpft hatten, aber er spürte, dass sie dem Ende der Reise immer näher kamen. Vielleicht dem Ende ihres Lebens.
Skut ließ den Trupp halten. Er winkte Dr. Hunt zu sich. Mark wollte gar nicht wissen, was es dort vorn zu sehen gab. Doch schon rief ihn seine Chefin.
„Mark, nun sind Sie an der Reihe.“
Von nun an musste er vorangehen. An jeder Wegkreuzung gab es Schriftzeichen zu entziffern, die den weiteren Weg beschrieben. Die Sprachen wechselten: Latein, Altgriechisch, Hebräisch, Kemisch, Gotisch. Und immer galt es ein Rätsel zu lösen, bei dem ihm Dr. Hunt zur Seite stand. Bald vertiefte er sich derart in seine Aufgabe und in das Rätselspiel mit seiner Begleiterin, dass er beinahe vergaß, wo er sich befand.
Sie standen am Ende eines Gangs, der scheinbar eine Sackgasse war. Eine letzte Inschrift fanden sie erst, nachdem sie auch die Decke mit ihren Taschenlampen ausgeleuchtet hatten. Sie war seltsamerweise in Deutsch verfasst und deutlich weniger rätselhaft als die vorigen:
„Beiseite nun den Stein, der Wächter lässt dich ein.“
Es gab nur einen Stein, der in etwa mannshoch war. Ohne nachzudenken, versuchte Mark ihn zu bewegen. Skut fasste ihn an der Schulter und zog ihn aus dem Weg. Mit fünf Männern wuchtete er den Stein zur Seite und ein weiterer Gang wurde sichtbar, den man nur auf allen Vieren passieren konnte. Ein kalter Gestank drang aus dem Loch hervor.
„Nun sind wir am Ziel.“ Dr. Hunt stellte sich vor den Eingang. „In wenigen Minuten werden wir wissen, für welchen Schatz mein Vater sein Leben lassen musste. Und wir werden wissen, welcher Wächter ihn bewacht.“ Sie drehte sich um und kniete sich hin.
Skut hielt sie zurück. Er richtete sein Gewehr auf sie und schickte seine Leute voran. Kalter ließ er als Bewacher zurück.
Der Mann schien enttäuscht, doch er grinste frech, als er Mark und Dr. Hunt ansah. „Danke, Frau Doktor und Herr Sprachwissenschaftler. Danke, dass sie uns zu dem Schatz geführt haben.“
Mark schaute Dr. Hunt an, doch er sah sie lächeln, als Kalters Lampe ihr Gesicht erhellte. Hatte sie ihnen nicht alles verraten? Was wusste sie über den Schatz? Und was wusste sie von dem Wächter?
Nicht ein Schuss fiel. Die Schreie währten nur kurz. Und doch steckte in ihnen so viel Entsetzen und Schmerz, dass Kalter die Flucht ergriff. Mark wollte ihm folgen, doch Dr. Hunt hielt ihn zurück. Sie leuchtete ihm ins Gesicht.
„Er kann nicht hier durch!“
„Wer ist er? Der Wächter? Was für ein grausames Geschöpf ist das?“
„Kommen Sie mit mir.“ Sie machte Anstalten in den Gang zu kriechen.
„Niemals. Sie sind verrückt!“
„Vertrauen Sie mir. Dieses eine Mal noch.“ Sie verschwand mitsamt ihrer Taschenlampe.
Mark stand im Dunkeln. Allein wollte er nicht bleiben.
Nach wenigen Metern schaltete Dr. Hunt die Taschenlampe aus. Kurz darauf erhellte sich der Gang etwas und vor ihnen öffnete sich ein weiter Raum, in den ein Streifen Tageslicht fiel.
„Nicht weiter!“, flüsterte Dr. Hunt.
Mark dachte an die Schreie und fand, dass sie schon viel zu weit gegangen waren. Aber eine direkte Gefahr konnte er in dem Dämmerlicht nicht ausmachen. Alles blieb still.
„Er wartet auf uns.“
Die Stille schmerzte beinah und Mark begann sich einzureden, Dr. Hunt habe Unrecht und der Wächter sei längst abgezogen.
Dann hörte er ein Schnauben. Der Gang verdunkelte sich und Mark konnte die Umrisse eines riesigen Kopfes erkennen. War das der Kopf eines Reptils?
Mark sah noch immer den Kopf des Monsters vor sich, obwohl sie sich längst aus dem Gang zurückgezogen hatten.
„Beeindruckend, nicht wahr?“ Dr. Hunt lachte.
„Was war das?“
„Ein Tyrannosaurus.“
„Wollen Sie mich verarschen?“
„Sie haben ihn doch gesehen.“
Ihr Lachen verwirrte Mark. „Wie wollen Sie je an diesem Monstrum vorbeikommen? Wie können Sie glauben, nun noch den Schatz Ihres Vaters zu finden?“
„Aber ich habe ihn doch schon gefunden.“
„Wie bitte?“
„Sie vergessen, dass mein Vater Paläontologe war. Für ihn muss die Existenz längst ausgestorben geglaubter Tiere der größte Schatz gewesen sein, den er sich erträumen konnte. Schatz und Wächter in einem.“
Mark begann zu verstehen. Doch nur langsam. „Und nun? Was wollen Sie tun?“
„Hierbleiben!“
„Sie wollen hierbleiben? Was ist mit Kalter?“
„Ohne Sie, mein lieber Mark, ist er im Labyrinth der Gänge verloren.“
Mark schauderte. „Was wollen Sie von mir?“
„Ich appeliere an Ihren Forschergeist. Sie haben nur einen der Dinosaurier gesehen. Den Wächter. Doch er bewacht eine Familie. Vielleicht eine ganze Population. Mein Vater hatte nicht die Zeit, herauszufinden, wie sie hier überleben konnten. Wie sie hier leben. Helfen Sie mir. Lassen Sie uns über die Wächter wachen. Ich heiße übrigens Linda.“
Mark lachte. Ein bitteres Lachen. Diese Frau war unglaublich. Aber auch unglaublich überzeugend.
„Guten Tag, Herr Mann.“
Die unbekannte weibliche Stimme am Telefon klingt freundlich. Ich versuche, ihr ebenso freundlich zu antworten. Woher sollte sie auch ahnen, dass ich an einem Dienstagvormittag viel zu tun haben könnte?
„Sie haben doch vor einiger Zeit mal an der Nordsüddeutschen Klassenlotterie Ostwest teilgenommen, richtig?“
„Richtig.“ Sollten die Leute etwa zur Erkenntnis gelangt sein, dass sie mir einen Hauptgewinn unterschlagen haben? Trotz meiner angeborenen Skepsis spüre ich, wie mein Herz ein wenig die Brust hinaufklettert. Vermutlich will es kein Wort verpassen.
„Sehen Sie, Herr Mann, wir von der Nordsüddeutschen Klassenlotterie Ostwest finden es schade, dass langjährige Kunden wie Sie bei uns noch nicht gewonnen haben. Daher haben wir uns zu einer besonderen Aktion entschieden, bei der nur solche Kunden teilnehmen können, die in der Vergangenheit noch nicht …“
Ich sollte auflegen! Es ist nicht nur eine leichte Enttäuschung, die mein Herz wieder in sein Stammgefäß zurückrutschen lässt, auch schrillt eine Klingel in meinem Kopf: Pass auf! Sonst wirst du die nicht mehr los. Dennoch verspüre ich, möglicherweise aus puren Rachegelüsten heraus, einen gewissen Ehrgeiz in mir aufsteigen.
„Entschuldigen Sie“, sage ich, mein Hörergegenüber unterbrechend, das ungeachtet meiner unausgesprochenen Gedanken und meiner fehlenden Aufmerksamkeit in seinen Ausführungen fortgefahren ist. „Ich fürchte, ich kann mir das nicht leisten.“
„Was?“
„Noch einmal monatlich Geld für ein Los auszugeben.“
„Aber Sie bekommen doch fünf Lose auf einmal.“
Ich sollte wirklich auflegen, aber diese Logik reizt mich nur noch mehr. „Das kann ich mir erst recht nicht leisten.“
„Herr Mann, hören Sie mir doch erst mal zu. Es kostet Sie ja praktisch nichts. Und die Gewinnchancen …“
„Also schenken Sie mir die Lose?“
„Herr Mann, unterbrechen Sie mich doch nicht dauernd, sehen Sie, mit 97,99-prozentiger Sicherheit gehören Sie schon jetzt …“
„Ja, aber ich kann mir ja schon die Lose nicht leisten.“
Ich halte das eigentlich für ein Totschlagargument. Tatsächlich scheint die Frau zu stutzen.
„Aber, wenn sie doch so sicher gewinnen, haben Sie das Geld bald wieder drin. Also …“ Sie klingt jetzt weniger freundlich, fast verärgert.
Ich passe mich ihrem Ton an. „Gute Frau, dann sagen Sie mir doch endlich, was die Lose kosten!“
„Also, wir haben fünf Achtellose für Sie bereitgestellt. Mit jedem haben Sie die Chance auf einen Gewinn in Höhe von bis zu einer Millionen Euro. Sie haben garantierte Gewinnchancen von …“
„Was muss ich zahlen?“
„… selbst mit dem kleinsten Gewinn …“
„Der Preis!“
„Es kostet Sie nur sagenhafte 54 Euro, die sie nahezu garantiert …“
„Sehen Sie!“ Aus mir heraus schreit der Triumph. „Das kann ich mir nicht leisten!“
„Aber, Herr Mann. Das ist doch kein hoher Betrag, wenn Sie bedenken, dass Sie den Einsatz am Ende mit ziemlicher Sicherheit vielfach zurückbekommen!“
Ich bin von der Begriffsstutzigkeit der Dame enttäuscht. Ich beschließe, Sie endgültig mundtot zu machen. „Hören Sie. Ich habe das Geld nicht …“
„Aber wenn Sie doch gewinnen.“
„Dazu müsste ich es ja erst einmal haben. Wenn Sie wollen, können Sie mir natürlich den Betrag vorlegen. Wenn ich gewinne, zahle ich es Ihnen auch garantiert zurück.“
Sie kichert unsicher. „Nein, das geht natürlich nicht. Sie bekommen wirklich keine 54 Euro zusammen, Herr Mann?“
„Sie müssten den Gewinn an einen Verhungerten auszahlen.“
„Aber wollen Sie denn nicht gewinnen? Sie bräuchten jetzt nur zuzusagen, Herr Mann.“
Ich würde mir mit beiden Händen an den Kopf fassen, wenn ich nicht den Hörer halten müsste. „Gut“, sage ich. „Ich sage zu und garantiere Ihnen mit sogar 100-prozentiger Sicherheit, dass ich Ihnen die Rechnung für die Lose schuldig bleiben werde.“
„Na, zahlen müssen Sie natürlich schon.“
„Kann ich doch aber nicht.“
„Wollen Sie sich diese Chance wirklich entgehen lassen?“
Ich gebe auf. „Also, was brauchen Sie?“
„Ihr Vorname war …?“
„Hermann.“