Benzitiert: Halt

Kampf um jeden Meter

© PersonalNOVEL e.K./Umschlagbild: istockphoto.com/vvectors

Der Stoß war heftig. Instinktiv nahm Sebastian die Hände vom Lenkrad. Noch im gleichen Moment spürte er, wie sein ORT-Dallara vorn abhob, hörte den V8 aufheulen. Ein Moment der Hoffnung, als der Rennwagen auf allen Vieren landete. Aber es war schon zu spät. Die vorderen Radaufhängungen brachen, die Reifen fanden auf der Piste keinen Halt. Nahezu ungebremst schlitterte Sebastian auf den Reifenstapel in der Sainte Devote zu, schloss die Augen. Er sah Hanna vor sich, seine Hanna. Das Einzige, das ihm mehr bedeutete als ein Sieg. Er genoss den Anblick. So lange, dass er sich fragte, ob ein Wunder geschehen sei. Dann spürte er den Aufprall.

Ungenutztes Konfliktpotenzial

© Rafal Olkis

© Rafal Olkis

Plötzlicher Stau auf der A1. So plötzlich, dass ich richtig hart in die Eisen steigen muss. Doch schon kurz, nachdem ich zum Stehen gekommen bin, bietet sich eine Erklärung. Nur unweit von mir springt ein Mann aus dem Auto und läuft zu einem Ziel vor uns, zu dem mir die Sicht versperrt ist. Es scheint in unmittelbarer Nähe etwas passiert zu sein.

Noch bevor ich mich selbst aus dem Wagen schälen kann, folgt die Beifahrerin des Mannes seinem Beispiel. Weitere Menschen verlassen ihre Fahrzeuge. Dann sehe ich es: In etwa einhundert Metern Entfernung versperrt ein Geländewagen mit Wohnwagen, dessen Heck sich in die Mittelleitplanke gefräst hat, die Fahrbahn. Ein weiterer Caravan hinter einem Mercedes liegt umgestürzt nur wenige Meter weiter. Das Bild lässt gleichermaßen Schlimmes erahnen, wie es erstaunt. Dass es hier nicht zu einer Massenkarambolage gekommen ist, scheint beinahe wie ein Wunder.

Ich laufe zur Unfallstelle, um zu sehen, ob Hilfe benötigt wird. Doch schon beim Näherkommen sehe ich, dass nicht nur die Aufmerksamkeit, sondern auch die Hilfsbereitschaft bei den anwesenden Verkehrsteilnehmern das Maß weit überschreitet, das man – zu Recht oder nicht – zu erwarten bereit ist.

Mehrere Männer und Frauen – darunter das Ehepaar, dessen beherztes Auftreten mich erst auf den Notfall aufmerksam gemacht hat, von Beruf Notarzt und Ärztin, wie ich kurz darauf erfahre – kümmern sich um die Verletzten – Tote gibt es zum Glück nicht. Einige Helfer gehen den Stau ab, sodass sich schon bald dort, wo noch Nachholebedarf beststeht, eine breite Gasse für die erwarteten Rettungskräfte öffnet, zumindest so weit ich blicken kann und vermutlich weit darüber hinaus. Es sind sogar bereits Leute dabei, die Unfallstelle mit Besen zu säubern, wo immer sie die auch hergeholt haben mögen.

Um nicht im Weg zu sein, werfe ich nur einen kurzen Blick auf das Chaos, kann erkennen, dass der erste Wohnwagen durch die Leitplanke regelrecht aufgeschlitzt wurde, und die Wucht des Unfalls sogar die Fenster des Geländewagens hat zerspringen lassen. Auch die Unfallursache scheint bereits klar zu sein. Der Fahrer des Mercedes ist am Steuer ohnmächtig geworden, möglicherweise ein Schlaganfall. Seine Frau versuchte noch, ins Lenkrad zu greifen, um Schlimmeres zu verhindern, doch da hatte sich der Caravan schon unkontrollierbar aufgeschaukelt.

Nicht nur die Hilfsbereitschaft, die naturgemäß nur vergleichsweise wenige zeigen konnten, auch die unaufgeregte, beinahe kollegiale Geduld, die die Wartenden in den folgenden zwei Stunden aufbrachten (natürlich kann ich hier nur für das direkte Umfeld sprechen) erstaunte mich. Das war die positve Überraschung bei all dem Unglück. Tatsächlich hätte ich bei dem Stress und der Zeitnot, die heutzutage vorherrschen, Konflikte geradezu für vorprogrammiert gehalten.

Gut, es gab eine Ausnahme: Ein Paar, das in einem Porsche unterwegs war (weitere Besitzer dieser Marke, falls sie sich unter den Wartenden befanden, straften jedes Vorurteil Lügen), schien den Weg zur Unfallstelle nur auf sich genommen zu haben, um die Gegebenheiten zu prüfen und sich anschließend mit seinem Gefährt zwischen den verunfallten Wohnwagen hindurchzuquetschen. Aber dass eben das die absolute Ausnahme war, ist doch mehr als löblich.

Zu früh

Zu früh

Das war knapp! Warum hatte er auch immer so ein großes Maul? Erst jetzt wurde ihm vollständig bewusst, dass er wahrscheinlich gerade so dem Krankenhaus entkommen war. Oder Schlimmerem.

Rot. Er ließ seinen BMW ausrollen. „Dieser Prolet!“ Thomas steckte sich eine Zigarette an. Das Zittern seiner Finger hatte nachgelassen. Sein Adrenalinspiegel näherte sich dem Normalwert. Er schaltete den DVD-Spieler an. Timbaland dröhnte aus den Boxen. Halb vier. Viel zu früh, um an einem Samstagmorgen nach Hause zu fahren. Dieser blöde Arsch! Wie hatten ihn seine Kumpels genannt? Grimsen. Er hätte merken sollen, mit welcher Ehrfurcht sie den Namen aussprachen. Und dass dieser Typ es überhaupt nicht mochte, wenn man seine Freundin anbaggerte.

Aus dem Augenwinkel bemerkte Thomas, wie ein potentieller Gegner für einen Ampelstart neben ihm stoppte. Automatisch setzte er sich auf. Ein kurzer Seitenblick sorgte für Enttäuschung. Ein aufgemotzter, aber nahezu schrottreifer Opel Vectra. Der ehemals weiße Kotflügel sprach für eine außergewöhnliche Unfallgeschichte. Egal. Thomas blickte nach vorn. Die zweispurige Straße gehörte ihm! Jeden Moment musste die Ampel umschalten.

Der M3-Motor heulte auf. Timbaland untermalt von quietschenden Reifen und Auspuffgasen. Der Blick in den Rückspiegel ließ Thomas lächeln. Vielleicht sollte er bei der nächsten Gelegenheit wenden und einen anderen Club aufsuchen. Das Night vielleicht. Da gab es doch diese süße …“

Mit einem mächtigen Knall machte der BMW einen Satz. „Scheiße, was ist das?“ Thomas schaute in den Rückspiegel. Der Vectra setzte zum Überholen an. Thomas reagierte zu langsam. Auch registrierte er jetzt erst das zweite Auto. Der Golf, kaum weniger ramponiert als der Vectra, setzte sich vor ihn. Im Nu war er eingekeilt. Vom Beifahrersitz des Opels grinste ihn Grimsen an.

„Die demolieren mir mein Auto!“ Er verdrängte den Gedanken, dass sein Wagen das kleinste Problem sein würde, wenn er sich hier nicht schnellstens herauswinden konnte. Der Fahrer neben ihm schien sich um weitere Beulen keine Sorgen zu machen. Beim Golf vor ihm leuchteten die Bremslichter auf.

Er stieg mit voller Wucht in die Eisen. Der BMW geriet auf den Vorderrädern kurz ins Schlingern, bevor das ABS eingriff. Auch die anderen beiden Wagen kamen zum Stehen. Thomas legte den Rückwärtsgang ein und trat das Gaspedal durch. Als er glaubte, genug Abstand gewonnen zu haben, versuchte er den Wagen herumzureißen. Sein Herz blieb stehen, als er merkte, wie der Motor abstarb. Noch immer stand der M3 in Fahrtrichtung. Der Vectra dagegen hatte gewendet und raste auf ihn zu.

Seine Finger tasteten nach dem Zündschlüssel, fanden ihn nicht gleich. Das Adrenalin war zurück! Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte er, sein nigelnagelneues Fahrzeug würde nicht anspringen. Beim Gasgeben hörte er sorgenvoll nach dem Kupplungsgeräusch, als der M3 einem Geparden gleich nach vorn sprang. Thomas riss das Lenkrad herum und schaute nach vorn. Gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie sich die Motorhaube in die Mittelplanke bohrte. Er fummelte den Rückwärtsgang rein, doch er kam kaum einen Meter weit, bis er mit dem Golf zusammenprallte. Vor ihm scherte der Vectra ein. Die Beifahrertür des Opels öffnete sich gemächlich.

Das wars, dachte Thomas. Und er sollte recht behalten. Oder nicht? Was denkt ihr?

Zu früh

Das war knapp! Warum hatte er auch immer so ein großes Maul? Erst jetzt wurde ihm vollständig bewusst, dass er wahrscheinlich gerade so dem Krankenhaus entkommen war. Oder Schlimmerem.
Rot. Er ließ seinen BMW ausrollen. „Dieser Prolet!“ Thomas steckte sich eine Zigarette an. Das Zittern seiner Finger hatte nachgelassen. Sein Adrenalinspiegel näherte sich dem Normalwert. Er schaltete den DVD-Spieler an. Timbaland dröhnte aus den Boxen. Halb vier. Viel zu früh, um an einem Samstagmorgen nach Hause zu fahren. Dieser blöde Arsch! Wie hatten ihn seine Kumpels genannt? Grimsen. Er hätte merken sollen, mit welcher Ehrfurcht sie den Namen aussprachen. Und dass dieser Typ es überhaupt nicht mochte, wenn man seine Freundin anbaggerte.
Aus dem Augenwinkel bemerkte Thomas, wie ein potentieller Gegner für einen Ampelstart neben ihm stoppte. Automatisch setzte er sich auf. Ein kurzer Seitenblick sorgte für Enttäuschung. Ein aufgemotzter, aber nahezu schrottreifer Opel Vectra. Der ehemals weiße Kotflügel sprach für eine außergewöhnliche Unfallgeschichte. Egal. Thomas blickte nach vorn. Die zweispurige Straße gehörte ihm! Jeden Moment musste die Ampel umschalten.
Der M3-Motor heulte auf. Timbaland untermalt von quietschenden Reifen und Auspuffgasen. Der Blick in den Rückspiegel ließ Thomas lächeln. Vielleicht sollte er bei der nächsten Gelegenheit wenden und einen anderen Club aufsuchen. Das Night vielleicht. Da gab es doch diese süße …“
Mit einem mächtigen Knall machte der BMW einen Satz. „Scheiße, was ist das?“ Thomas schaute in den Rückspiegel. Der Vectra setzte zum Überholen an. Thomas reagierte zu langsam. Auch registrierte er jetzt erst das zweite Auto. Der Golf, kaum weniger ramponiert als der Vectra, setzte sich vor ihn. Im Nu war er eingekeilt. Vom Beifahrersitz des Opels grinste ihn Grimsen an.
„Die demolieren mir mein Auto!“ Er verdrängte den Gedanken, dass sein Wagen das kleinste Problem sein würde, wenn er sich hier nicht schnellstens herauswinden konnte. Der Fahrer neben ihm schien sich um weitere Beulen keine Sorgen zu machen. Beim Golf vor ihm leuchteten die Bremslichter auf.
Er stieg mit voller Wucht in die Eisen. Der BMW geriet auf den Vorderrädern kurz ins Schlingern, bevor das ABS eingriff. Auch die anderen beiden Wagen kamen zum Stehen. Thomas legte den Rückwärtsgang ein und trat das Gaspedal durch. Als er glaubte, genug Abstand gewonnen zu haben, versuchte er den Wagen herumzureißen. Sein Herz blieb stehen, als er merkte, wie der Motor abstarb. Noch immer stand der M3 in Fahrtrichtung. Der Vectra dagegen hatte gewendet und raste auf ihn zu.
Seine Finger tasteten nach dem Zündschlüssel, fanden ihn nicht gleich. Das Adrenalin war zurück! Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte er, sein nigelnagelneues Fahrzeug würde nicht anspringen. Beim Gasgeben hörte er sorgenvoll nach dem Kupplungsgeräusch, als der M3 einem Geparden gleich nach vorn sprang. Thomas riss das Lenkrad herum und schaute nach vorn. Gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie sich die Motorhaube in die Mittelplanke bohrte. Er fummelte den Rückwärtsgang rein, doch er kam kaum einen Meter weit, bis er mit dem Golf zusammenprallte. Vor ihm scherte der Vectra ein. Die Beifahrertür des Opels öffnete sich gemächlich.
Das wars, dachte Thomas. Und er sollte recht behalten. Oder nicht? Was denkt ihr?