Intelligenz ist in!

Intelligenz ist in! Dieser Satz dürfte viele sogleich zu Widerspruch anregen. Schon im Gedenken an aktuelle Fernsehprogramme, die ja nun regelmäßig zu Statements verleiten, die das genaue Gegenteil behaupten.

Auch ich würde an dem Satz leise Kritik üben, allerdings in anderer Weise, als man vielleicht erwarten möchte. Das Wörtchen „in“ könnte nämlich den Verdacht erwecken, es handele sich um einen noch jungen Trend, in ist Intelligenz jedoch nicht erst seit gestern. Sie ist ein Attribut, mit dem man sich gern schmückt, am häufigsten in der Weise, dass man die ungenügende Ausstattung des Gegenübers oder eines Dritten herausstreicht.

Nun ist Intelligenz nichts, was man so einfach auf den Tisch, geschweige denn in die Waagschale schmeißen kann. Damit zu protzen sollte also Probleme bereiten. Ermöglicht wird es vor allem durch zwei Faktoren:

1. Intelligenz ist relativ, weshalb es nahzu jedem möglich ist, jemanden zu finden, dem man sich intellektuell überlegen fühlen kann.
2. Die gängige Methode, Intelligenz zu beweisen, ist die, Bildung hervorzukehren.

Letzteres gilt, obwohl den meisten Menschen durchaus bewusst ist, dass Bildung und Intelligenz zwei Paar Schuhe sind. Weder ist Bildung untrügliches Zeichen für Intelligenz, noch ist der Intelligente automatisch gebildet. Wenn beides oft zusammenkommt, liegt das nur daran, dass der Intelligente Bildung häufig als eine Art Sport betreibt, der ihm außerdem verhältnismäßig leicht fällt.

Intelligenz ist eine Fähigkeit, die sich zwar in gewissem Maße trainieren lässt, die aber im Grunde keine eigene Leistung darstellt. Man kann darauf ebenso stolz sein wie darauf, von anderen für ein besonders schönes Exemplar Mensch gehalten zu werden.  Auf der anderen Seite ist Bildung eben im Wesentlichen „nur“ eine Fleißleistung.

Die (erstaunlicherweise auch unter tatsächlich intelligenten Menschen) weit verbreitete Unart, andere hinsichtlich fehlender Intelligenz im freundlichsten Falle zu belächeln, oft aber auch zu entwerten, ist daher nicht weniger diskrimierend, als andere aufgrund ihrer äußeren Erscheinung abzuwerten.

Ich will damit niemandem auf die Füße treten, zumal ich es auch bei mir selbst tun müsste. Gerade im Bereich Humor gehört Political incorrectness meiner Meinung nach dazu. Aber es ist ebenso erlaubt, sich ab und an zu hinterfragen.

Größe ist relativ

Foto: Péter Gudella

Foto: Péter Gudella

Norma saß auf dem Bett im Schlafzimmer. Sie sah aus wie eine Skipiste im Sommerurlaub. Doch das Schmelzwasser, das aus ihren geweiteten Augen rann, veränderte ihren Zustand nicht.
„Wo?“ Martin konnte es nicht lassen, seiner Stimme einen genervten Unterton zu verleihen.
„Hab ich doch gesagt!“, schrie sie ihn an. Ihre Stimme überschlug sich. So hysterisch hatte er sie noch nie erlebt.
„Im Gartenhaus also?“
Sie nickte und sah ihn flehentlich an. In ihrem Blick fand er einen Ausdruck, den er nicht deuten konnte. Sie sah schrecklich aus. Er vergaß seinen Ärger, setzte sich neben sie und legte seinen Arm um sie.
Norma zitterte und reagierte nicht auf den zärtlichen Kuss.
„Was ist denn los? So schlimm war es doch noch nie?“
Sie riss sich los und boxte ihm mit ihren kleinen Fäustchen auf die Brust. „Sie ist riesig!“
„Es ist eine Spinne!“ Der Ärger meldete sich zurück. „Dafür musstest du mich extra anrufen und aus dem Büro holen?“ Schon am Telefon hatte sie so anders geklungen, sodass er sich schließlich ergeben hatte. Seiner Sekretärin hatte er etwas von einem Unfall erzählt. Was sollte sie von der Frau des Chefs denken, wenn sie erfuhr, dass sie ihn wegen einer Spinne nach Hause holte? Den Klatsch wollte er Norma und sich selbst ersparen.
Norma antwortete nicht, bibberte nur weiter vor sich hin und starrte auf den
Teppich. Er stand auf. „Na, dann werde ich mir das Tierchen mal ansehen.“
Norma erwachte. „Geh nicht!“
„Es ist eine Spinne“, wiederholte er.
Norma sprang auf und klammerte sich an seinen Arm. „Es ist ein Monster!“
„Das hast du mir aber am Telefon noch nicht gesagt“, scherzte er. Er fühlte ein Unbehagen. Nicht wegen der Spinne, aber irgendetwas stimmte nicht mit seiner Frau. Norma hatte alle Arten von Insekten schon immer gehasst, derart panisch kannte er sie jedoch nicht. Wieder sah er diesen seltsamen Ausdruck in ihren Augen. War sie verrückt geworden? Das konnte einem ja Angst machen.
„Bleib bei mir!“ Sie wimmerte wie ein kleines Mädchen. Ihr Griff aber war fest.
Er fühlte sich plötzlich wie gefesselt, suchte Schutz in einem harten Tonfall. „Lass mich los! Was ist denn bloß mit dir? Reiß dich zusammen und werd mal wieder normal!“
Von einem Moment zum nächsten ließ sie ihn los. Sie schaute ihn an, traurig und zugleich auf eine neue Art seltsam. „Du hast recht. Geh nur. Ich werde hier warten.“
„Na also, es geht doch.“ Martin wunderte sich ein wenig über Normas Stimme, aus der jedes Zittern verschwunden war, während er durchs Wohnzimmer in den Garten ging.

Auf dem Weg zum Gartenhäuschen, dessen Fenster von den hässlichen Blumenvorhängen verschandelt wurden, die Norma letzten Monat wegen der gnadenlosen Sonne gekauft hatte, fragte er sich, wie groß das Exemplar wohl sein könnte, das ihr solch einen Schrecken eingejagt hatte. Wahrscheinlich eine dieser Gartenkreuzspinnen. Die wurden wirklich riesig. Im letzten Sommer hatte er seiner Frau zuliebe eine töten müssen, deren Körper einem schon aus mehr als zwanzig Metern Entfernung ins Auge stach. Groß wie eine fette braune Kirsche. Den Spaten, dessen Rückseite vollständig mit dem Blut und den Körperteilen der Leiche eingesaut gewesen war, hatte er entsorgt.

Jetzt griff er nach dem neuen Spaten. Ein bisschen aufgeregt war er schon. Um ihn herum war alles merkwürdig still. Selbst die immer gegenwärtigen Vögel schienen den Atem anzuhalten. Vielleicht beobachten sie mich, dachte er und kicherte. Immerhin musste das „Monster“ noch da drinnen sein. Wie auch immer es Norma fertiggebracht hatte – die Tür des Häuschens war zu.

Er kam gar nicht hinein! Es war kein Platz mehr im Gartenhaus. Er starrte in das haarige Antlitz der Spinne. Gigantische Augen sahen ihn an. Er war so baff, dass er Wurzeln schlug. Da wird der Spaten wohl nicht ausreichen, dachte er noch, dann brach der massige Körper des Ungetüms mit solcher Wucht durch die Holzwand, dass nicht nur die Blümchenvorhänge das Zeitliche segneten.

Der Biss war kurz und schmerzhaft. Er spürte, wie ihm die riesigen Kiefer die Rippen brachen. Das Gift wirkte schnell und half ein wenig gegen das Schwindelgefühl, als die Spinne begann, ihn zwischen ihren Vorderbeinen zu drehen. Er ahnte, dass er nicht lange abhängen würde. Wenigstens musste er sich so nicht ewig mit dem Gedanken herumquälen, dass er Norma besser vertraut hätte.