Die Brücke

© WitthayaP

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Vergeblich versuchte er den Schweiß, der ihm in die Augen rann, wegzublinzeln. Stehen bleiben konnte er nicht. Er hatte ja nicht einmal die Zeit, nach den Moskitos zu schlagen.

Zur Brücke! Er musste die Brücke erreichen, wenn er seinen Verfolgern entkommen wollte. Dort wäre er vor ihnen in Sicherheit. Trotz seiner heillosen Flucht überkam ihn ein Schwindelgefühl, wenn er nur an das wackelige Ding dachte, das sich da über den reißenden Fluss tief unten im Tal spannte. Nur nicht fallen! Später nicht und jetzt erst recht nicht!

Obwohl ihm selbst Zweige und Äste ins Gesicht peitschten, vernahm er das Krachen im Unterholz hinter ihm. So nah schon! War er überhaupt noch auf dem richtigen Weg? Doch! Vor ihm rauschte der Fluss! Er würde es schaffen!

Er blieb nicht stehen, verkniff sich nur den Blick nach unten, bis er in etwa die Mitte der Brücke erreicht hatte. Dann schaute er zurück, sah sie am Rande des Urwalds stehen.

Demjenigen, den er für den Anführer hielt, rief er zu: „Ja, okay, ich hab euch verärgert. Ziemlich sogar. Kein Grund, mich gleich umzubringen! Mann, war das knapp!“ Er atmete tief ein und wieder aus, spürte, wie er langsam wieder zu sich selbst fand. „Habt ihr auch nicht gedacht, dass euch der gute Tom noch einmal entkommt, was? Jetzt guckt ihr blöd!“

Er sprach nicht weiter, denn sein Gegenüber antwortete. Der graue Riese hob den Rüssel und trompetete, als zöge er in die Schlacht. Dann setzte er seinen Vorderfuß auf die Brücke. Vorsichtig zunächst, und doch mit Nachdruck. Tom glaubte das unglaubliche Gewicht bis zu seinem Standort zu spüren.

Der Traumwandler

Im Wolkenbett

Lev Leo gähnte. Er hatte etwas seltsames geträumt. Aber er konnte sich nicht mehr erinnern, was es gewesen war. Er öffnete die Augen und erhob sich langsam. Als er sich umschaute, wunderte er sich. Er befand sich nicht mehr auf dem kleinen Hügel, auf dem er eingeschlafen war. Stattdessen saß er nun neben einem großen Akazienbaum. Von seinem Rudel war nichts zu sehen. Er reckte sich, um so weit wie möglich schauen zu können – kein Löwe weit und breit. Außer ihm selbst natürlich.

Waren sie weitergezogen und hatten ihn vergessen? Aber warum sollten sie? Es war Regenzeit, das Gras in der Savanne leuchtete in kräftigem Grün und Tausende von Gnus und Zebras fanden reichlich zu fressen. Auch das Löwenrudel musste sich um die nächste Mahlzeit keine Sorgen machen. Es gab also keinen Grund, diesen Ort zu verlassen.

Vielleicht waren sie nur zum großen Fluss gezogen, um zu trinken. Lev wollte gleich nachschauen. Nur, wo war der Fluss? Von seinem Schlafhügel aus hätte Lev ihn leicht gefunden. Aber den Platz, an dem er aufgewacht war, kannte er nicht. Er würde sich durchfragen müssen.

Da sah er nicht weit entfernt Loxo Rüssel. Lev war ganz sicher, dass er es war, denn er hatte sich schon oft mit dem alten Elefanten unterhalten. Schnell lief er zu dem Dickhäuter hin. Der staunte nicht schlecht, als er Lev sah. „Was machst du denn hier auf der anderen Seite des großen Flusses?“
Jetzt war es an Lev, zu staunen. „Ich bin auf der anderen Seite des Flusses?“
Loxo wiegte bedächtig den Kopf und drehte seine großen Ohren nach vorn. „Ja, das bist du. Ich habe noch nie gehört, dass ein Löwe den Fluss überquert hat.“
„Aber das habe ich nicht“, antwortete Lev verwundert. „Als ich eingeschlafen bin, war ich noch auf der richtigen Seite.“
Loxo hob den Rüssel und schmunzelte. „Aha, du hast geschlafen. Hast du auch geträumt?“
„Ich glaube schon.“
Der alte Elefant wiegte den Kopf jetzt noch bedächtiger. „In Träumen kann man manchmal übers Wasser gehen. Dann träum dich mal zurück.“

Nachdenklich legte sich Lev wieder unter die Akazie. Wenn er sich wirklich hierher geträumt hatte, musste er jetzt nur wieder einschlafen. Aber das war kein Problem für ihn. Wie alle Löwen war er zu jeder Tages- und Nachtzeit für ein Nickerchen zu haben. Nur wollte er dieses Mal genau aufpassen, was er träumte.

Ein weißes Wolkenbett brachte ihn zu seinem Schlafhügel zurück. Noch bevor Lev die Augen öffnete, spürte er die raue Zunge von Mama Lea. „Genug geträumt!“, flüsterte sie ihm ins Ohr. „Wir wollen zum Fluss.“