Partnerlook

Foto: ID1974

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Die sorgsam bereitgelegten Klamotten konnten mir meine Vorfreude nicht nehmen. Ich war ein leidenschaftlicher, wenn auch durchschnittlicher Bowler, und Ilses Tradition des Partnerlooks zum Neujahrsbowlen entlockte mir bestenfalls noch ein leichtes Zähneknirschen.

Frisch geduscht wie ich war, zog ich mir zuerst Unterwäsche an, die ich aus dem Schrank holte, da sie glücklicherweise nicht dem Beziehungsexhibitionismus meiner Frau unterlag. Gleiches galt für die Socken.

Dann wandte ich mich der Hose zu. Eines dieser Dinger für Sie und Ihn in schwarz. Sie, Ilse, legte sie jedes Jahr zurecht, damit ich gar nicht erst auf die Idee kommen könnte, eine andere anzuziehen. Danach wartete noch das weiße Shirt mit der Aufschrift „Das Herz-Team“ auf mich, wobei das Herz natürlich durch ein rotes Herz symbolisiert wurde.

Als ich die Hose über die Beine zerrte, bekam ich eine erste Ahnung, dass die Weihnachtszeit nicht spurlos an mir vorbeigegangen war. Wieso war das verflixte Teil auf einmal so eng? Aber es sollte noch schlimmer kommen. Der Knopf, endlich in eine Höhe über dem Boden gebracht, die ein Zuknöpfen rechtfertigte, befand sich so weit von dem entsprechenden Knopfloch entfernt, dass man vermuten konnte, er gehöre zu einer anderen Hose.

Ich kratzte mich am Kopf, denn jeder Versuch, die beiden, Knopf und Knopfloch, einander näher zu bringen, erschien mir in etwa so sinnvoll wie die Hoffnung, aus der Bundeskanzlerin ein internationales Topmodel zu machen. Allein die Enttäuschung, die jedes andere Beinkleid Ilse am heutigen Abend bereiten würde, trieb mich dazu, es dennoch zu wagen.

Ich atmete einmal tief ein, um dann alle Luft aus meinem Körper entweichen zu lassen. Vorrangig über die Atemwege. Dann krallte ich meine Finger in der Hose fest und begann zu ziehen. Schweißperlen traten mir auf die Stirn. Meine Finger färbten sich erst rot, dann weiß. Als wollte ich mich noch mehr kasteien, richtete sich mein Blick auf den Spiegel des Kleiderschranks. Ich erkannte mich kaum wieder, denn ich entdeckte pulsierende Adern am Hals und auf den Schläfen, die ich noch nie gesehen hatte. Leider musste ich auch erkennen, dass man in dem Abstand zwischen Knopf und Knopfloch noch immer eine vierspurige Autobahn hätte bauen können. Ich ließ mich schwer atmend aufs Bett fallen.

Konnte es tatsächlich sein, dass ich über die Feiertage derartig zugenommen hatte? So sehr ich sie hasste, nun musste die Waage Aufschluss bringen. Aber sie gab mir nur ein weiteres Rätsel auf. Sicher, ich hatte ein bisschen zugelegt, aber obwohl ich das letzte Mal nicht direkt vor dem Fest auf dieses Wahrsagergerät gestiegen war, dürften es jetzt höchstens zwei, drei Kilo mehr sein. Die konnten doch eigentlich keinen Hosenkampf verursachen, der selbst mit der Kraft eines Tyrannosaurus nicht zu gewinnen war.

Ich war geneigt, aufzugeben. Doch da drohte ja noch Ilse! Nie war ich so froh gewesen, dass die Gute sich vor dem Bowlen immer mit Angelika traf, um Partysalate vorzubereiten.

Einen Versuch musste ich noch wagen. Mit offener Hose schleppte ich mich in die Garage. Die Hoffnung, mich nicht der ganzen Welt zu öffnen, zerbarst, als ich den Gruß von Herrn Blick erwiderte, der mir über die Straße zuwinkte. Endlich angekommen stellte ich mich vor dem Schraubstock auf.

Mir war selbst nicht klar, wie ich es anstellen sollte, daher dachte ich auch nicht weiter darüber nach und fummelte so lange herum, bis die Hose auf der Knopflochseite fest im Schraubstock verklemmt war. Wieder zog ich den Bauch ein und zerrte und zerrte und zerrte.

Schließlich war es geschafft. Der Knopf steckte im Knopfloch – wenn auch nicht vorauszusehen war, wie lange dieses halten würde. Und ich steckte noch immer in der Hose, wobei ich das Gefühl hatte, ich sei ein zu eng gebundener Strauß Blumen. Vermutlich leuchtete ich inzwischen auch ähnlich bunt im Gesicht.

In diesem Zustand war an Bowling gar nicht zu denken. Aber das Denken hatte ich ohnehin aufgegeben. Lediglich die Freude, über die Hose gesiegt zu haben, ließ mich die Schmerzen ertragen, und so krampfte ich mich wieder ins Schlafzimmer, um mir das Partnerlookshirt überzustreifen.

Als ich es in den Händen hielt, kam es mir vor, als habe ich dieses Shirt das letzte Mal im Kindergarten getragen. Was, verdammt noch …

Das Telefon klingelte. Viel zu hastig drehte ich mich um. Der Hosenknopf schoss mit solcher Wucht von dannen, dass er im Spiegelglas eine gut sichtbare Schramme hinterließ. Mit offener Hose, die dennoch weiter vom Rutschen entfernt war als Spikes mit einer Schicht Industriekleber, stürzte ich zum Apparat.

„Ach, hallo Schatz. Wie weit seid ihr denn?“ Es gestaltete sich nicht leicht, gleichzeitig das Hecheln zu unterdrücken und möglichst unschuldig zu klingen.
„Wir sind gleich so weit. Sag mal, hast du die Sachen schon angezogen?“
„Aber natürlich“, antwortete ich beinahe wahrheitsgemäß. Doch was nun kam, hatte ich ganz und gar nicht erwartet. Ilse lachte! Sie lachte so laut, dass ich zügigst Abstand zwischen mein Ohr und den Hörer brachte und darüber nachdachte, das Fenster zu schließen, damit sich die Nachbarn nicht gestört fühlten.
Sie konnte sich gar nicht beruhigen, schnappte zwischendurch nach Luft und hustete eine Erklärung, die offenbar an Angelika gerichtet war: „Er sagt, er hat sie angezogen.“
„Könntest du mir mal verraten, was daran so lustig ist!“ Was der Knopf nicht geschafft hatte, schien Ilse gelingen zu wollen. Ich stand kurz vorm Platzen!
„Weißt du, Schatz, ich rufe eigentlich an, weil ich dir gestehen muss, dass mir da ein kleiner Fehler unterlaufen ist. Als ich mich eben umziehen wollte, habe ich festgestellt, dass ich statt meiner deine Sachen mitgenommen habe.“

Ich musste mich setzen. Mit einem kräftigen Knall riss die Hosennaht.

Verhandlungsgeschick

Foto: c.

Foto: c.

„Was soll das kosten?“, fragte ich und zeigte auf einen gelben Plüschaffen mit schwarzen Streifen.
„17,99 Euro“, lautete die knappe Antwort.
„Aha“, erwiderte ich dem Verkäufer, dem die Gier aus den knapp neben den Koteletten angetackerten Mundwinkeln tropfte. Ich schaute mich weiter uninspiriert in den spärlich besetzten Auslagen des Sammlerladens um, in dem mich so rein gar nichts interessierte, bis auf diese eine Sache.

Ich griff zu einer She-Man-Actionfigur, wog den 30-Zentimeter-Amazonen prüfend in der Hand und fragte: „Und der?“
„39,98.“

Ein harter Brocken, das spürte ich. Ich beschloss, dem Kerl noch ein bisschen auf den Zahn zu fühlen, stellte She-Man wieder ins Regal und erwähnte nebenbei: „Ist nicht für mich. Meine Freundin ist leidenschaftliche Sammlerin.“
Das war nicht einmal gelogen. Sah man davon ab, dass Regine erst noch meine Freundin werden sollte. Und hier in diesem ebenso unscheinbaren wie muffigen Geschäft für völlig Abgedrehte hatte ich durch puren Zufall den Schlüssel zu ihrem Herzen entdeckt.

Ich sah auf die Uhr. Noch eine viertel Stunde, bis ich in den Zug steigen musste. Mir blieb wenig Zeit für meine Verhandlungskünste.

Jetzt griff ich zu einem bengalischen Karate-Tiger. Das hässliche Ding war genauso gefärbt wie der Plüschaffe. Ich hielt dem Verkäufer das Kampfkätzchen vor die Nase.
„25,97“, sagte der Freak, der wahrscheinlich mit den Gewinnen aus diesem Basar der Verrücktheiten seine Computerspielsucht finanzierte.

Auch das Karate-Vieh durfte zurück an seinen Platz. Gelangweilt ließ ich meinen Blick schweifen, bis er in scheinbarer Überraschung an dem an exponierter Stelle neben der mittelalterlichen Kasse ausgestellten Schreiber-Sindling hängen blieb, der in einem mit Fantasyelementen dekorierten Karton mit Sichtfolie gefangen war.

Der kleine Kerl, der über seine gesamte Länge von etwa 3,48 cm mit wuscheligem Haar bedeckt war, aus dem an einer Stelle, an der man mit großzügiger Nachlässigkeit seine Hand vermuten konnte, eine weiße Schreibfeder herauslugte, wäre mir niemals aufgefallen, hätte ich nicht aus Regines sich immer wiederholenden schwärmerischen Beschreibungen genau gewusst, wie dieses überaus seltene Exemplar auszusehen hatte. Und es war das einzige Stück, das Regine in ihrer Sammlung noch fehlte.

Ihr ständiges und überaus nervtötendes Geschwafel über Sindling-Figuren hatte seine Wirkung nicht verfehlt. Andernfalls wäre mir der diletantisch mit rotem Textmarker geschriebene Zettel hinter der gelblichen Scheibe des Schaufensters gar nicht aufgefallen: „Rarität! Schreiber-Sindling – heute reingekommen!“

Nun galt es! „Ist das nicht ein Schreiber-Sindling?“
„Richtig.“
„Das ist ja genau der, der meiner Freundin noch fehlt.“
„Das kann ich mir denken. Der fehlt so ziemlich jedem.“ Eine leichte, fast unmerkliche Aufwärtsbewegung des linken Mundwinkels bewies, dass mehr Leben in dem Mann steckte, als anfangs angenommen.
„Sicher wäre das ein großartiges Geschenk für sie“, fuhr ich fort. „Ich glaube, das kleine Püppchen nehme ich. Was soll es denn kosten?“ Die blasphemische Bezeichnung „Püppchen“ war wohl gesetzt. Nun wartete ich gespannt auf die Antwort. Mir war durchaus bewusst, dass schon die weniger exklusiven Vertreter der Sindling-Sammler-Reihe einen stolzen Preis ihr eigen nannten, der der Größe der Figuren in keiner Weise angemessen schien. Doch da sogar Regine es vermied, über die genauen Beträge Auskunft zu geben, war ich auf eine Überraschung gefasst.

„99,96.“
„Wie bitte?“ Der Schreck war keineswegs nur gespielt. „Das soll doch bloß ein kleines Geschenk werden.
„Das ist der Preis. Es ist eine Rarität.“
„Das mag sein.“ Ich rang mit meiner Fassung. „Aber so viel will ich nun doch nicht ausgeben. Auf Wiedersehen.“ Ich wandte mich zum Gehen.

„An wie viel hatten sie denn gedacht?“
Jetzt hatte ich ihn! „Allerhöchstens die Hälfte, was ich immer noch als sehr viel empfinde.“
„Auf keinen Fall. Es wird sowieso nicht lange dauern und ich bin dieses Goldstück los.“
„Goldstück, aha. Na, dann können Sie ja zufrieden sein.“ Wiederum strebte ich dem Ausgang zu.
„Ich könnte ihn Ihnen für neunzig geben.“

Ich spürte schon jetzt einen zuversichtlichen Triumph in mir aufsteigen, drehte mich um, tat aber keinen Schritt von der Ladentür weg. „Nein danke, bemühen Sie sich nicht. Ich habe gar nicht so viel Geld bei mir.“
„Wie viel haben Sie denn bei sich?“
„Siebzig. Und ich muss noch die Zugfahrkarte bezahlen.“ Ich hoffte, dass ich nicht schamesrot anlaufen würde. Aber ich schien kein schlechter Lügner zu sein.
„Haben Sie denn keine EC-Karte?“
„Kann man hier mit Karte zahlen?“, fragte ich verwundert und in Sorge, meine Strategie würde damit den Bach runtergehen.
„Für die Fahrkarte, meine ich.“
„Ach so.“ Ich war erleichtert. „Aber es sind trotzdem nur siebzig.“

Der Verkäufer schien beim Überlegen noch mehr ins Schwitzen zu kommen als ohnehin schon. Seine Mundwinkel zeigten sich nun beide als beweglich und sackten in den Keller. „Also gut, Sie bekommen ihn für siebzig. Sie sind wirklich gut. So ein schlechtes Geschäft habe ich noch nie gemacht.“

Missmutig packte der arme Mann den Karton in graues Butterbrotpapier, während ich ihm die Scheine auf den Tisch zählte. Als die letzte Banknote auf dem Verkaufstresen lag, bekam ich ein ungutes Gefühl. Ich schaute auf die Uhr. 9.20 Uhr. Ich hatte noch fünf Minuten. Aber irgendetwas stimmte nicht. Ich sah dem Mann zu, wie er eilig das Geld in die Kasse schob. Und langsam dämmerte es mir. Der Tag war noch jung. Wenn der Schreiber-Sindling so begehrt war, warum wartete der Kerl dann nicht einfach, bis der nächste Sammler den Weg in seinen Laden fand und den vollen Preis zahlte?

Ich schaute den Verkäufer an. Seine Mundwinkel hatten zurück zu den Koteletten gefunden. Mehr noch: Sie umrundeten an jeder Seite den Backenbart, um sich mit den haarigen Ohrläppchen des Freaks zu treffen.

Da wusste ich, dass es sicherlich unklug wäre, Regine nach dem wahren Wert des Sindlings zu fragen. Und dass eine ausgeklügelte Strategie immer noch durch eine bessere geschlagen werden kann.

Eintopf

Foto: Philipp Bobrowski

Alex stellte die Dose auf die Arbeitsfläche. Er stutzte. Hatte sich die Dose bewegt? Und hatte er gerade ein leises Schmatzen gehört? Ein Schmatzen aus der Dose?

So ein Quatsch! Einbildung. Oder der Erbseneintopf war durch das Abstellen in Bewegung geraten.

Alex suchte nach dem Dosenöffner. Natürlich! Wieder ganz unten in der Schublade. Wohl zum hundertsten Mal ärgerte er sich, dass er sich noch keinen neuen gekauft hatte. Das Billiggerät strotzte vor Rost. Selbst ohne Dose bedurfte es schon einer Kraftanstrengung, das kleine Zahnrädchen zu einer Drehung zu verleiten. So artete der schnelle Eintopf zwischendurch zu richtiger Küchenarbeit aus.

Alex kam regelrecht ins Schwitzen, bevor er auch nur in die Hälfte des Deckels eine schmale Öffnung geschnitten hatte. Er legte eine Pause ein.

Als er sich an die zweite Hälfte begeben wollte, zuckte er zurück. Wie eklig war das denn? Aus dem noch frischen Spalt zwischen Deckel und Dosenrand kroch eine fette Made. Der weiße Körper war feucht und pelzig. Ihr folgte eine weitere. Dann eine dritte.

Alex hielt sich die Hand vor den offenen Mund, brachte Abstand zwischen sich und die Dose und beobachtete mit einer angewiderten Faszination, wie sich immer mehr der weißen Viecher über den gar nicht mehr appetitanregenden Dosenaufdruck schleimten, um dann ihren Weg auf seiner Arbeitsplatte fortzusetzen. Krochen sie tatsächlich alle auf ihn zu?

Über den Anblick der Maden hatte er die Dose ganz vergessen. Plötzlich gab es einen Knall. Langsam hob sich der Deckel. Alex machte eine Art Tentakel aus. Dann schob sich der Körper des Untieres hinterher. Es sah aus wie eine dickleibige Spinne, deren Beine den Fangarmen eines Kraken ähnelten. Mit großen Saugnäpfen hielt es sich am Blech der Dose fest. Von den zangenartigen Kiefern, die mit einem klickenden Geräusch stetig auf und zu schnappten, tropfte zähflüssiger Speichel. Erstaunlich intelligente Augen starrten Alex an.

Er rümpfte die Nase. Es roch nach halb verdautem Eintopf, Fäulnis und Fisch.

Eigentlich war dieses Ding gar nicht so groß. Sonst hätte es auch kaum in die Büchse gepasst. Allerdings begann es jetzt mit seltsamen, fast wiegenden Bewegungen vor und zurück zu schaukeln, als wolle es Schwung holen. Dabei war sein Blick weiter starr auf Alex gerichtet. Und je länger er dem Wesen in diese faszinierenden Augen schaute, desto klarer wurde ihm: Es wollte wachsen. Es hatte noch immer Hunger.

Schon spürte er die ersten Maden an seinen Beinen hochkriechen. Er glaubte beinahe das Knabbern zu hören. Doch das war jetzt nicht mehr wichtig, denn in den Augen seines Gegenübers konnte er es lesen: Der Erbseneintopf war nur der Anfang gewesen.