Auf dem Weg zum Örtchen

© Marafona

© Marafona

Blind, Herr Kommissar, Blanka Blind. Genau. So ist es richtig. Soll ich dann anfangen? Gut.

Also, ich war auf der Landstraße unterwegs, wollte nach Hamburg. Ich fahr ja meistens über Land, weil ich das sicherer finde als auf der Autobahn. Ich muss zugeben, ich bin ein wenig ängstlich. Immer so viel Verkehr, die vielen Fahrspuren und vor allem die ganzen Drängler, nee, das ist nichts für mich.

Aber es ist natürlich eine weite Strecke, nich. Und dann der Regen! Es hat ja gegossen, als hätte jemand einen Ozean über uns ausgeschüttet. Sehn Sie, ich bin eine Frau. Und es ist ja bekannt, dass wir Frauen … na ja, Sie wissen schon … wenn man muss, dann muss man!

Erst einmal war ich noch relativ entspannt. Ich kannte die Strecke zwar nicht, aber wir sind ja in Deutschland, nicht irgendwo in der Taiga. Es musste also in der nächsten Zeit irgendeine Möglichkeit geben, sich zu erleichtern.

Nun kann man ja bei solchen Wetterverhältnissen nicht so schnell fahren. Das muss ich einem Polizisten nicht erzählen. Aber Sie werden nicht glauben, wie viele Raser da ihr Leben aufs Spiel setzen. Wenn es denn nur ihr eigenes wäre … Wenn Sie die Zeit finden, sollten Sie da mal kontrollieren. Bei jeder noch so kleinen Gelegenheit haben die überholt. Das ist doch gefährlich. Gut, den Traktor fand ich jetzt nicht so schlimm. Der fährt ja auf ganz anderen Reifen, nich.

Wie auch immer, ich hab mich natürlich nicht aus der Ruhe bringen lassen von dem ganzen Gehupe. Ich hatte ja ganz andere Sorgen. Und die wurden immer drängender. Langsam zweifelte ich dann doch daran, dass ich noch in Deutschland war. Und ich konnte ja nicht einfach in der freien Natur, nich, vor allem bei dem Regen. Aber es kam einfach keine Tankstelle oder irgendwas in der Art.

Und jetzt, Herr Kommissar, muss ich zugeben, dass ich dann auch ein bisschen auf die Tube gedrückt hab, nich. Das war gar keine Absicht, kam von ganz alleine. Ich hoffe, Sie drücken da ausnahmsweise ein Auge zu. Ja? Das ist aber nett. Jedenfalls hatte ich plötzlich den Traktor wieder vor mir. Nun ist ja überholen nicht so meins, nich. Haben Sie sich schon gedacht? Na, und dann noch so ein Riesending! Mit Anhänger! Aber nach zwanzig Minuten hab ich es einfach nicht mehr ausgehalten.

Ich bin also auf die Gegenfahrbahn – natürlich erst bei freier und gerader Strecke – und hab die Geschwindigkeit noch ein bisschen erhöht. Mir ist fast das Herz stehengeblieben. Ich wollte abbrechen und in den nächsten Feldweg reinfahren, Regen hin oder her. Aber hinter mir waren noch drei Autos ausgeschert und hupten wie verrückt. Ich konnte nicht mehr zurück. Und was glauben Sie? Plötzlich tauchen Scheinwerfer am Horizont auf.

Augen zu und durch, hab ich gedacht. Nein, nein, ich hab die Augen natürlich offengelassen. Aber es wurde verdammt knapp. Ich hab mein Leben schon an mir vorbeiziehn sehn, nich. Was war ich froh, als ich endlich wieder einscheren konnte und nur die drei Autos hinter mir an mir vorbeigezogen sind. Kaum war auch das letzte vorbei, kam der Wagen von vorn angebraust. Ich wollte noch die Sekunden zählen, aber bei fünfzehn hab ich aufgehört, weil ich endlich die rettende Tankstelle gesehen habe. Beinahe hätte ich sie wegen dem ganzen Überholen verpasst.

Ich also auf die Bremse. Die Einfahrten von diesen Tankstellen sind ja immer so eng, da muss man zeitig bremsen. Inzwischen hatte mich der Traktor wieder überholt. Und zwei LKW. Die haben aber auch keine Geduld, nich. Ich konzentrierte mich ganz auf die Einfahrt.

Sie können sich nicht vorstellen, Herr Kommissar, wie ich in die Tankstelle gestürmt bin. Ich war ja fast am überlaufen, wenn Sie mir diese etwas saloppe Formulierung erlauben. Trotzdem war ich nach dem kurzen Weg vom Auto zum Tankstellenhäuschen ganz durchnässt. Ich hab mir nicht mal die Zeit genommen, meine Brille von den ganzen Regentropfen zu befreien. Ich konnte kaum etwas sehn.

Und dann das! Es war nur ein Kunde da, aber der schien mir zuvorgekommen zu sein. Als ich nämlich in meiner Eile nach dem WC fragte, antwortete mir der Bursche hinterm Tresen gar nicht. Schien etwas verlegen zu sein, der Kerl, nich.

Stattdessen sprach mich der Kunde an. Ich hab ihn erst gar nicht verstanden. Das war aber auch ein komischer Vogel. Gut, er trug eine Mütze, da sollte man denken, er war wettergerecht gekleidet. Aber wozu die Sonnenbrille? Na ja, geht mich ja nichts an. Aber ehrlich, bei dem Wetter eine Sonnenbrille, das ist schon etwas seltsam, finden Sie nicht? Ja, nich.

Jedenfalls hielt der mir irgendwas hin. Gehn Sie, sagte er. Er wurde richtig ungeduldig, als ich nicht gleich verstand, fuchtelte mit dem Ding rum und sagte noch einmal: Gehn Sie! Hätte ja auch ein wenig deutlicher werden können, der Mann. Er war wahrscheinlich nicht so der Mensch für die großen Worte, nich.

Endlich verstand ich. Der WC-Schlüssel! Es war vielleicht ein bisschen unhöflich von mir, aber ein Bedürfnis ist ein Bedürfnis. Ich bedankte mich, nahm ihm das Ding aus der Hand und wollte mich schon umdrehen, da stutzte ich. Das war doch kein Schlüssel! Sicher nur ein Missverständnis, aber in dem Moment war ich einfach ein bisschen aufgebracht. Ich musste doch so dringend! Ob er es lustig fände, einer hilflosen Dame so einen Streich zu spielen, fragte ich und wollte ihm, was auch immer es war, zurückgeben.

Ich bin wohl irgendwie blöd hängengeblieben, jedenfalls tat es plötzlich einen schrecklichen Knall, der Mann brüllte auf, fasste sich ans Bein und fiel zu Boden.

Dafür hatte ich jetzt keine Zeit mehr. Ich schrie – ja, es tut mir jetzt noch leid – den armen Burschen von der Tankstelle an, er solle mir endlich den verdammten Kloschlüssel geben. Der reagierte gar nicht. Da war mir dann alles egal. Ich war ja sowieso schon nass. Ich bin hinter die Tankstelle gelaufen und kam endlich dazu … Na, Sie wissen schon, nich. Was für eine Erleichterung!

Und den Rest wissen Sie ja. Als ich zurückkam, um nach dem bedauernswerten Mann zu sehn, dem ich da versehentlich ins Bein geschossen hatte, waren Sie schon da. Wie hoch, sagten Sie, war noch gleich die Belohnung?

Das Geschäft auf dem WC

Foto: happydancing

Foto: happydancing

Der größte Tank kann einen nicht davor bewahren: Manchmal muss man auf der Autobahn einfach eine Zwischenstation einlegen. Eben weil man mal muss. Und schon ist man in den Händen der Abzocker!

Die A 7. Auf der Rückfahrt von Frankfurt nach Rostock. Die Anzeige verspricht einen noch beruhigend vollen Tank. Doch je näher man Hamburg kommt, desto schleichender wird der Verkehr. Im Stau schließlich stirbt die Hoffnung, man könne der Blase befehlen, noch bis zum heimischen Klo durchzuhalten.

Endlich eine Raststätte! Vorbei an der Tankstelle zum gut gefüllten Parkplatz. Dann, schon auf dem Weg, noch einmal umkehren. Das Geld nicht vergessen! Schließlich soll die freundliche Klofrau nicht leer ausgehen. Nun gut, so naiv denkt vermutlich keiner mehr. Klofrauen, freundlich oder nicht, gehören ganz sicher zu einer aussterbenden Spezies. In ein paar Jahren weiß niemand mehr, was das überhaupt ist.

Geld nicht vergessen!

Aber das Geld braucht man natürlich trotzdem. Denn ist man erst einmal durch den Einkaufs- und Gastronomiebereich hindurch, sieht man, wie sich die Bedürftigen an gleich drei Schranken-Automaten drängen, die an die Vorrichtungen in den Frankfurter U-Bahnhöfen erinnern. „SANIFAIR“ lässt sich überall lesen. Fairness wird offenbar großgeschrieben, wenn auch die arbeitslosen Klofrauen davon wenig haben.

Dann der Schock! 70 Cent möchte der Wechselautomat haben, damit man in das SANIFAIR-Reich eintreten darf. An die 30 Cent kann man sich mit Mühe noch erinnern, über die 50 Cent meckert man kaum noch, aber 70 Cent?

Ausgeklügelte Gutschein-Politik

Doch dann die Erleichterung vor der Erleichterung. Man bekommt 50 Cent wieder zurück. In Form eines Gutscheins, den man in der Raststätte für Speisen, Getränke und im Shop einlösen kann. Nicht nur an dieser Raststätte, sondern bundesweit an allen, die am SANIFAIR-System teilnehmen. Für die eigentliche Toilettenbenutzung zahlt man demnach nur noch 20 Cent! Es ist also billiger geworden, auf Deutschlands Autobahnraststätten aufs Klo zu gehen.

Vorausgesetzt man hat Hunger, Durst oder will noch shoppen gehen. Man sollte also tunlichst den Proviant zu Hause lassen und sich den Kofferaum erst hier mit allem möglichen unnützen Zeugs vollknallen. Sonst weiß man ja nicht, wofür man seinen Toilettengutschein verwenden soll.

Pfeffer an der Kasse

Und man sollte bei den Preisen in der Raststätte ein Auge zudrücken, denn essen, trinken und einkaufen sind an so einem Ort höchst exklusiv. Selbst das Selbstbedienungsrestaurant scheint sich mit der Sternegastronomie messen zu wollen, anders lässt sich die ausgefallene Preisstruktur einfach nicht erklären. Innerstädtische Tankstellen sind sicher weit von Discountern entfernt, aber im Vergleich zu einem solchen Angebot kann man sie getrost als Schnäppchenmarkt bezeichnen.

Glücklicherweise hat man ja 50 Cent von oben. Oder genauer gesagt aus der Keramik. So kommt man also für einen kombinierten Toilettengang mit Bockwurst und Brötchen für ganz knapp unter drei Euro davon. Wer jetzt rechnet, wird entdecken, dass er dafür problemlos zweimal in die WC-Welt von SANIFAIR eindringen könnte, wenn er sich die Gutscheine an die Wand nagelt und stattdessen seine Bockwurst inklusive Brötchen beim heimischen Imbiss kauft.

Leistung kostet auch auf dem Klo

Das hat den Vorteil, dass man essen kann, wenn man Hunger hat, und nicht, wenn man muss. Im doppelten Wortsinn. Denn wer nicht regelmäßig auf Autobahnraststätten angewiesen ist, wird wohl kaum SANIFAIR-Gutscheine sammeln, um sie möglicherweise während einer anderen Fahrt einzusetzen. In dem Fall kostet der zwar sehr hygienische, aber auch nicht unglaublich luxeriöse Gang aufs Klo eben 70 Cent.

Tank & Rast begründen die Aufstockung des Preises mit „dem deutlich verbesserten Leistungsumfang von SANIFAIR“. Da fragt man sich doch, ob das Management damit rechnet, dass kaum jemand seinen Gutschein einlöst, oder ob die Kosten für den SANIFAIR-Unterhalt in der Bockwurst stecken. Ich würde die Klofrau fragen, aber die ist ja längst eingespart.

Keiner da!

Keiner da! (Foto: m.wolf)

Keiner da! (Foto: m.wolf)

Heute war es anders.
Timo war selbst überrascht, hatte er doch geglaubt, sich längst an die Dunkelheit gewöhnt zu haben. Einen Moment lauschte er zu der Stahltür des kleinen Tankstellenhäuschens. Stille.
Eigentlich sollte er sich auf den Feierabend freuen. So gelegen ihm der Nebenjob in der kleinen Billigtanke gekommen war … ein Job ist ein Job.
Aber jetzt war er versucht, den Schlüssel zurückzudrehen, um die Lichtanlage wieder einzuschalten.

„Reiß dich zusammen! Es ist nichts. Nur ein blödes Gefühl.“
Timo zwang sich zu den zwei Schritten bis zur Tür. Er öffnete sie einen Spalt. Sofort wurde er etwas ruhiger. Nichts. Keiner da. Keiner wartete mit einer Sense oder einem Fleischerhaken auf ihn. Und bis zum noch immer hell beleuchteten Einkaufszentrum waren es nur ein paar Hundert Meter.
Eigentlich war Timo rundum versorgt. Aber vielleicht sollte er noch eben einen kleinen Abstecher machen, ein bisschen durch die Läden schlendern und sich endgültig beruhigen.
Er schloss die Tür hinter sich ab, steckte den Schlüssel in die Jackentasche, kramte nach dem Fahrradschlüssel und ging zur Hinterseite des Kassenhäuschens.

Nichts! Keiner da! Auch sein Fahrrad nicht! Das dicke Sicherheitsschloss … in Fetzen!
Timos Herz brachte seinen gesamten Körper zum Zittern, pochte in Brust, Hals und Schläfen gleichzeitig. Er drehte sich um sich selbst, ratlos, was er nun tun sollte. Erstmal zurück ins Häuschen. Seine Hand fand den Weg in die Jackentasche nicht.
„Konzentrier dich!“
Die Schlüssel klimperten, als er sie endlich aus der Tasche zog. Er suchte nach dem für die Tür. Das Bund fiel ihm aus der Hand. Timo fluchte.
Endlich! Er bekam die Tür auf. Einen Schritt noch …

Etwas packte nach ihm, riss ihn zurück! Ein letzter Blick zum Einkaufszentrum, dann war auch dieses Licht verschwunden.