Von Hunde- und Kindererziehung

Erziehung ist keine leichte Sache. Das gilt für den richtigen Umgang mit Hunden wie auch für die Kindererziehung. Können Eltern von Hundetrainern lernen?

Hundererziehung ist TV-tauglich geworden. Wer schaut nicht gebannt dem Hundeprofi Martin Rütter zu, wenn er uns Zugang in die Köpfe unserer geliebten Vierbeiner verschafft? Und wer hat nicht längst zumindest theoretisch verstanden, dass die Zauberformel zur Erziehung der Bellos zum großen Teil im Prinzip von Aufmerksamkeit und Aufmerksamkeitsentzug steckt. Zuwendung von Herrchen oder Frauchen signalisieren dem Tierchen, es ist alles super, wendet sich der zweibeinige Mitbewohner ab, hat Doggie Zeit, über seine Fehler nachzudenken.

Klingt logisch. Und wenn man das nun einmal weiß, sollte es doch eigentlich klappen mit der Hundeerziehung. Leider fällt es den Herr- und Frauchen nicht leicht, sich von ihren  angestammten Verhaltensweisen zu lösen.  Wir Menschen neigen nun einmal dazu, zu tadeln und zu schimpfen, uns also ausgiebig mit dem Übeltäter zu beschäftigen. Wir sind eben keine Hunde.

Aber Moment! Wie ich gerade erst wieder in einem TV-Beitrag gesehen habe, sind Experten der Ansicht, dass wir uns  auch bei der Erziehung unserer eigenen Kinder ein Bein stellen. Wenn etwa ein Kind einem anderen Leid zufügt, sollen wir uns mit dem Opfer beschäftigen, indem wir es trösten, dem Täter dagegen keine weitere Beachtung schenken, indem wir tadeln und schimpfen. Andernfalls würde das Kind lernen, dass es  Aufmerksamkeit bekommt, wenn es etwas Unrechtes tut.

Ich bin kein Experte, aber auch das klingt in meinen Ohren logisch. Nehmen wir also einmal an, dass es stimmt. Warum müssen wir uns dieses Vorgehen dann erst antrainieren? Ich mag mich täuschen, aber meiner Erfahrung nach kommt das Prinzip in den allerwenigsten Familien zur Anwendung, erst recht nicht, wenn sie noch nie etwas davon gehört haben. Da geht es den Eltern offensichtlich nicht anders als den Hundehaltern.

Liegt es also in der Natur des Menschen, nicht die effektivsten Erziehungsmethoden anzuwenden, oder  haben wir diese Fähigkeit in tausenden Jahren Zivilisationsgeschichte verloren? Sind uns Hundemütter (inzwischen) in der Erziehung überlegen? Oder sind solche Erkenntnisse eben doch nur den Tier- und Menschenpsychologen zu verdanken, haben ihre Wurzeln gar nicht in natürlichen sozialen Verhaltensweisen?

Immerhin hat Rütter auf dem Weg zum Herrchen- und Frauchentrainer unter anderem Dingos in Australien beobachtet, es ist also anzunehmen, dass seine Ideen natürlichen Vorbildern folgen.

Endstation

Klaus saß an seinem Tisch und starrte vor sich hin. Dieses Kaff war das Ende der Welt! Ein Kaff mit genau einer Ampel. Eine Ampel, die sicher kaum öfter als einmal am Tag auf Rot schaltete.

Er schaute auf die Uhr. Fast fünf Minuten lang. Bis die Zeiger anzeigten, dass nun sein Termin begann. Zum ersten Mal war er in seinem Job nicht pünktlich.

Ihm kamen die Tränen. Einige Sekunden wehrte er sich noch, dann ließ er den Kopf auf die Tischplatte sinken und schluchzte. Es kümmerte ihn nicht mehr, ob ihn jemand dabei beobachtete. Er fand keine Kraft, die Schleusen wieder zu schließen.

Jemand klopfte ihm sanft auf die Schulter. „Alles in Ordnung?“
Verwundert schaute er zu der jungen Frau auf. Aus seiner Sicht war sie noch ein Mädchen. Er wischte sich mit dem Handrücken über die Augen.
„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte sie weiter und Klaus bemerkte, dass er vergessen hatte, ihre erste Frage zu beantworten.
„Mir kann niemand mehr helfen.“
„Wollen Sie mir erzählen, was geschehen ist?“
Ja, er wollte. Obwohl er sich sicher war, dass sie ihm erst recht nicht helfen konnte. „Ich wurde beraubt. An der Ampel da vorn. Sie hielten mir eine Pistole an den Kopf und ich musste aussteigen. Dann zwangen sie mich, meine Brieftasche in den Wagen zu schmeißen und sind davongebraust. Mit meinem Auto!“
„Das ist ja schrecklich!“, rief das Mädchen aus. „Haben Sie schon die Polizei verständigt?“
Er nickte.
Sie setzte sich zu ihm, legte ihren Arm um seine Schulter. „Dann machen Sie sich keine Sorgen. Ganz bestimmt fasst man die Täter. Und falls nicht, sind Sie doch sicher versichert.“
Sie verstand nichts. „Darum geht es nicht. Ich schaffe meinen Termin nicht. Zum ersten Mal in meinem Leben kann sich mein Chef nicht auf mich verlassen. Und die Kunden auch nicht.“
Sie lachte. „Vergessen Sie mal die Arbeit. Sie leben noch, das ist das Wichtigste.“
Nun verstand er nicht. Wie konnte man so etwas Wichtiges wie die Arbeit vergessen?
Sie beugte sich zu ihm. „Sie sollten erst einmal einen kräftigen Schluck trinken! Ich gebe Ihnen einen aus. Was möchten Sie?“
Er wusste es nicht. Er hatte schon seit Jahren keinen Alkohol mehr getrunken. Er stand morgens auf und ging zur Arbeit. Oft nahm er sich abends Arbeit mit nach Hause. Und wenn alles getan war, ging er ins Bett. „Ein Bier“, sagte er leise.
Das Mädchen kam mit dem Bier, einer Flasche Schnaps und ein paar Freunden zurück an den Tisch. Sie alle taten so, als gehöre er zu ihnen, obwohl er doch viel älter war und sich noch viel älter fühlte. Doch mit der Zeit gefiel es ihm in der Runde. Und die Gedanken an seinen verpassten Termin ließen nach.

Als schließlich die Polizei seinen Wagen zurückbrachte, konnte er nicht mehr fahren. Und auch den Papierkram musste er verschieben. Das Mädchen bot ihm an, auf seiner Couch zu übernachten.

Am nächsten Morgen hatte Klaus einen Kater. Dennoch quälte er sich von der Couch und rief seinen Chef an. Und er lächelte, als er ihm sagte, er wolle kündigen.

Die Zeitung (Teil 1)

Foto: Pack-Shot

Foto: Pack-Shot

Niklas überlegte, ob er einfach vorbeigehen sollte. Schaute sie ihn an? Beinahe hoffte er, dass es nicht so war. Er riskierte einen kurzen Blick. Laura lehnte mit dem Rücken an der Hauswand und beobachtete ihn, während sie sich mit Vanessa unterhielt. Er überlegte, ob er die Mädchen ansprechen sollte, nickte dann aber einfach nur, eher ein unmotiviertes Wippen als ein richtiger Gruß. Sie reagierten nicht darauf und würdigten ihn keines Blickes mehr. Er hoffte, dass er nicht rot wurde und ging ins Haus.

Hatte er wirklich geglaubt, es würde sich etwas ändern, nur weil Lauras Familie in das Haus gezogen war, in dem auch er mit seinen Eltern lebte? Er war in der Schule Luft für sie, also war er es auch hier. Es war doch ohnehin utopisch. Er und das schönste Mädchen der Klasse.

Er ging zu den Briefkästen. Die meisten waren längst geleert. Zumindest die Zeitungen waren alle weg. Alle! Auch die von Herrn Morsch. Sehr seltsam. Er stieg die Treppe hinauf und klingelte beim Nachbarn. Es dauerte wie üblich eine Weile, bis sich die Tür öffnete. „Guten Tag, Herr Morsch, haben Sie Ihre Zeitung schon?“
„Hallo Niklas.“ Er schüttelte den Kopf. „Hast du sie denn nicht mitgebracht?“
„Sie war nicht da.“
„Hm, bist du sicher?“ Herr Morsch wirkte richtig niedergeschlagen. „Das ist aber traurig.“
„Ich bin sicher, da ist nur irgendwas schiefgelaufen“, tröstete Niklas. „Morgen ist sie bestimmt wieder da.“

Aber so war es nicht. Niklas trommelte ärgerlich mit den Fingern auf die Tür des leeren Briefkastens. Als er morgens aus dem Haus gegangen war, hatte er extra nachgeschaut. Die Zeitung war gebracht worden. Jemand musste sie zwischendurch geklaut haben.
„Na, wartest du auf einen Liebesbrief?“
Niklas fuhr herum. Vor ihm stand Laura und grinste. Er starrte sie an.
„Muss dir nicht peinlich sein.“
„Was? Nein, ist es nicht. Ich meine, nein, ich warte nicht. Nicht auf einen Liebesbrief.“ Was sprach er da für wirres Zeug?
„Worauf dann?“ Laura grinste immer noch.
„Die Zeitung von Herrn Morsch.“
„Meinst du, die kommt noch oder wartest du hier bis morgen früh?“
„Sie ist weg.“
Lauras spöttischer Gesichtsausdruck zeigte einen Anflug von Neugier. „Wer?“
„Die Zeitung. Heute Morgen war sie noch da und jetzt ist sie weg.“ Hörte sich das irgendwie vernünftig an?
„Was geht dich das an?“
„Aber ich bringe sie ihm doch jeden Tag, dem Herrn Morsch. Er kann nicht mehr so gut Treppen steigen, deshalb. Und er hat doch nicht viel mehr als seine Zeitung.“ Niklas staunte selbst, wie es aus ihm heraussprudelte. Warum erzählte er ihr das alles? Sie würde sich am Ende nur über ihn lustig machen.
„Du meinst, jemand hat dem armen Herrn Morsch die Zeitung geklaut?“ Lauras Blick wurde ernst.
Niklas nickte. Er spürte ein Prickeln in der Magengegend. Da standen sie nun und er hatte keine Ahnung, was jetzt geschehen würde.
Laura fuhr sich mir der Hand durch die Mähne mit den blonden Strähnen, in der sich sein Blick im Unterricht so gern verfing. „Und was hast du jetzt vor?“
„Keine Ahnung.“ Er hob die Schultern. „Wahrscheinlich werde ich die Zeitung einfach schon morgens vor der Schule mitnehmen.“
„Aber dann weißt du ja nie, wer sie weggenommen hat!“ In Lauras Augen blitzte Abenteuerlust auf. Sie packte ihn am Arm. „Nein, wir müssen den Täter stellen!“
Ihre Erregung steckte ihn an. Oder war es ihre Hand an seinem Arm? „Wie willst du das anstellen?“
„Weiß ich auch noch nicht. Aber uns fällt schon etwas ein.“ Sie schaute auf die Uhr. „Ich muss jetzt erst mal zum Mittagessen. Kannst du nachher vorbeikommen? Du weißt doch, wir wohnen direkt über euch. So um vier, ja?“

Als Niklas bei Herrn Morsch klingelte, musste er sich arg zusammenreißen. Schließlich hatte er ihm die traurige Nachricht zu überbringen, dass es heute wieder keine Zeitung gab. Dass Laura ihm vom Treppenabsatz noch einmal zuwinkte, machte es ihm nicht leichter, seine Freude zu verbergen.