Mc Pom Fritz: Nicht da

Heute hatte ich meinen Zahnarzttermin in Tessin. Ich war ganz aufgeregt. Ihr wisst ja, weshalb ich den überhaupt gemacht hab, ne? Ich wollte doch endlich Arielle treffen. Aber dann kam alles ganz anders, als ich gedacht hab.

Erstmal hab ich mich total gefreut, ne. Vor der Praxis stand Arielles roter Golf. Jetzt konnte ich endlich sicher sein. Ich hatte sie gefunden! Ich hab richtig gezittert, als sich zur Tür rein bin. Da war dann so ein großer, weißer Tresen, wo die Schwester hinter stand. Also, die Krankenschwester. Ne, da heißt das noch anders. Sprechstundenhilfe, glaub ich, ne.

Ich dachte erst, das ist Frau Bernhard, mit der ich telefoniert hatte. Aber die hieß Albatros. Im Wartezimmer saß nur ein Mann. Arielle war nirgends zu sehn. Dafür sagte mir Frau Albatros, ich käme gleich dran, weil zwei Patienten vor mir abgesagt hatten.

Tja, was sollte ich machen? Ich also gleich ins Behandlungszimmer, ne. Da wurde mir dann schon ein bisschen anders. Weil ich hatte ja gar nix. Keine Zahnschmerzen und so. Aber da warteten schon die ganzen Bohrer und so auf mich. Was sollte das bloß werden?

Aber ich hab Glück gehabt, ne. Frau Dr. Maus hat sich alle Zähne angeguckt und gesagt, sie könnte sich gar nicht vorstellen, wo ich Schmerzen haben soll, weil alle Zähne top in Ordnung wären. Da hab ich dann gesagt, dass es auch schon viel besser wäre und dass ich ihr sehr danken würde.

Frau Dr. Maus hat den Kopf geschüttelt und dann gesagt, ich sollte wiederkommen, wenn ich doch noch einmal Schmerzen haben sollte. Ich hab schon nur noch mit halbem Ohr hingehört, weil ich so gehofft habe, dass Arielle vielleicht da wäre, wenn ich aus dem Behandlungsraum komme, ne. Aber es war nur noch eine ältere Frau dazugekommen, die jetzt auch im Warteraum wartete.

Mann, war ich enttäuscht, ne. Ich konnte ja auch die Frau Albatros nicht nach Arielle fragen. Die würde ja gar nicht wissen, wen ich meine. Ich musste einfach noch mal wiederkommen. Dann aber brauchte ich wirklich Zahnschmerzen! Ich wollte mir gleich ganz viele Süßigkeiten kaufen und mit dem Zähneputzen aufhören.

Bis zum nächsten Mal, sagte ich zu Frau Albatros und ging. Das heißt, ich wollte gehn, ne. Aber ich bin mit einer Frau zusammengestoßen, die gerade zur Tür reinkam. Arielle!

Das war wirklich Arielle! Ich stammelte eine Entschuldigung und rannte zur Tür raus. Mann, war das peinlich! Mann, war ich blöd gewesen! Du Hornochse! Hab ich gedacht, ne. Und dann bin ich zurückgegangen.

In meiner Aufregung fragte ich Frau Albatros jetzt doch, wo Arielle ist. Die war nämlich schon wieder nicht zu sehen. Ich musste dann natürlich erklären, dass ich die Frau meine, mit der ich eben zusammengestoßen war. Ach, Frau Bernhard, sagte Frau Albatros. Die hätte Feierabend und käme gleich wieder.

Und da kam sie auch schon aus einem der Behandlungszimmer, ne. Frau Bernhard! Ich hatte mit ihr telefoniert!

Ich entschuldigte mich noch mal. Wir haben letzte Woche telefoniert, sag ich. Das musste ich ihr dann noch erklären, von wegen Termin gemacht und so. Ich bedank mich noch mal, weil sie ja eigentlich nichts frei hatte und es dann doch möglich gemacht hat. Kein Problem, sagt sie und lächelt. Dieses Lächeln! Mir fällt nichts mehr ein. Also entschuldige ich mich noch mal. Sie lächelt immer noch. Dann guckt sie auf die Uhr, streicht mir über den Arm, dass ich eine Gänsehaut bekomme, und meint, sie muss jetzt los. Ich steh noch blöd da. Dabei muss ich ja auch los, ne.

Eigentlich wollte ich gar nicht gehen, ne. Aber Frau Albatros, von der sich Arielle … Frau Bernhard gerade verabschiedete, guckte mich schon so komisch an. Ich also raus zu meinem Fahrrad, ne. Und als ich am Schloss rumfummel, ein bisschen langsamer als sonst, kommt sie auch raus, nickt mir zu und geht zu ihrem Golf. Ich will noch was sagen. Sie wohnen in Prangendorf Ausbau, ne, ruf ich ihr zu. Sie guckt ganz komisch. Ich wohn auch da, sag ich schnell. Sie überlegt und dann lacht sie. Bist du nicht der, der neulich in die Mülltonnen gefahren ist?

Scheiße! Sie hat es doch gesehn. Bianca, sagt sie. Fritz, sag ich und denk, dass ihr Name noch viel schöner ist als Arielle. Bianca Bernhard! Irgendwie muss ich schon wieder an einen Film denken, aber mir fällt nicht mehr ein, welcher. Ob ich jetzt mit dem Fahrrad nach Hause fahre, will sie wissen. Ich nicke. Wenn das Fahrrad ins Auto passt, kann ich dich mitnehmen.

Ihr könnt euch bestimmt vorstellen, wie sehr ich gehofft hab, dass es passt. Bianca – Bianca! – musste die Rücksitze umklappen und ich das neue Rad fast verbiegen. Außerdem musste ich ihre Einkäufe auf den Schoß nehmen. Dabei fiel mir ein, dass ich selbst noch einkaufen wollte. Muss ich jetzt morgen noch mal losfahren, ne. Aber dafür hab ich neben Bianca im Auto gesessen.

Sie wohnt auch noch nicht lange in Prangendorf Ausbau. Hat vorher in Tessin gewohnt. Aber warum sie umgezogen ist, hat sie nicht verraten. Dafür sollte ich die ganze Zeit von mir erzählen. Na ja, sie hat gefragt und ich hab geantwortet, ne. Wo ich vorher gewohnt hab, was ich arbeite, ob es mir in meiner neuen Wohnung gefällt und so, ne. Dann waren wir auch schon zu Hause. Unglaublich, wie kurz der Weg ist, wenn man ihn mit dem Auto fährt!

Als ich mein Fahrrad aus dem Kofferraum gezerrt hatte, hat sie mich gefragt, ob ich immer mit dem Fahrrad einkaufen fahre. Freitags, sag ich, weil ich da früher Schluss hab, sag aber nicht, dass ich sonst immer nach Sanitz fahr. Und dann sag ich noch, dass ich früher immer mit dem Bus gefahren bin. Ich könnte doch nächsten Freitag wieder mit dem Bus fahren, sagt sie, dann könnte ich sie um 16.00 Uhr von der Praxis abholen und sie würde mich dann zum Einkaufen mitnehmen.

Ich kann euch sagen, heute war mein Glückstag. Und jetzt mach ich mir einen gemütlichen Abend. Der Führerschein muss jedenfalls noch ein bisschen auf mich warten.

Bis dann,

Euer Mc Pom Fritz

Mc Pom Fritz: Der Plan

Nächste Woche geh ich zum Zahnarzt. Nö, Zahnschmerzen hab ich nicht. Ich putz mir ja immer fleißig die Zähne, ne. Eigentlich wollte ich mich nur mal durchchecken lassen. Aber jetzt hab ich doch Zahnschmerzen. Also, das hab ich denen gesagt, ne.

Das war nämlich so: Ich hatte doch Arielle wiedergesehn, ne. Leider hatte ich danach kein Glück mehr. Immer, wenn ich mit meinem Fahrrad nach Hause kam, stand ihr Auto schon da. Das war ganz schön blöd für mich, ne. Und da hab ich mir mal ihr Auto genauer angeguckt. Ganz unauffällig natürlich, ne. Und da hab ich diesen Aufkleber entdeckt, von der Zahnarztpraxis von Frau Dr. Maus in Tessin.

Frau Dr. Arielle Maus. Dachte ich erst, ne. Aber dann ist mir eingefallen, dass Arielle ja gar nicht Arielle heißt. Und außerdem, dass ja beim Zahnarzt noch mehr Leute arbeiten. Ich war ja schon früher mal beim Zahnarzt. Jedes Jahr sogar. Also bei einem anderen, ne. Nicht bei Frau Dr. Maus. Also, Arielle muss gar nicht Frau Dr. Maus sein.

Jedenfalls hab ich dann da angerufen. Ich wollte einen Termin. Aber ich hätte fast einen Monat warten müssen. Da hab ich dann gesagt, dass ich ganz dolle Zahnschmerzen hab. Die Frau am Telefon war sehr nett. Ich werde sehen, was sich machen lässt, hat sie gesagt. Das war übrigens auch nicht Frau Dr. Maus. Frau Bernhard oder so. Fand ich erst komisch, weil das ja ein Männername is, ne. Aber dann fiel mir ein, dass das ja ihr Nachname is. Hatte auch eine ganz liebe Stimme. Sanft und so, ne.

Jedenfalls geh ich jetzt nächsten Freitag zum Zahnarzt. Da muss ich ganz tapfer sein, ne. Und hoffentlich seh ich dann endlich Arielle wieder.

Bis dann,

Euer Mc Pom Fritz

Musik beim Schreiben?

Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, warum diese Frage so interessant sein soll, aber sie wird seltsamerweise immer wieder gestellt. Hiermit will ich sie umfassend beantworten:

Ja, ich höre Musik beim Schreiben. Nicht immer, aber immer öfter (wie originell!!!). Und auch jetzt im Moment. Gerade läuft auf meinem Netbook Global Deejays, was aber reiner Zufall ist. Schaue ich in die Playlist, die der Zufallsgenerator zusammengestellt hat, kommt als nächstes Emilíana Torrini und dann Culcha Candela. Es hätten aber auch Police oder Red Hot Chili Peppers sein können. Oder irgendetwas anderes.

Kurz, es ist mir fast egal, welche Musik läuft, nicht nur, aber auch beim Schreiben. Was auch immer es ist, es stört mich nicht beim Schreiben. Zumindest bilde ich mir das ein. Und es beflügelt mich auch nicht beim Schreiben. Zumindest bilde ich mir das ein. Und ich kann auch schreiben, wenn gar keine Musik zu hören ist. Zumindest bilde ich mir das ein.

Ich höre übrigens nicht nur beim Schreiben Musik. Auch beim Aufräumen. Oder beim Entspannen. Oder bei der Gartenarbeit. Oder wenn ich eine Rechnung schreibe. Oder eine bezahle. Oder aus anderen Gründen im Internet bin. Manchmal sogar beim Schlafen. Meist eher versehentlich. Heute war ich beim Einkaufen und stellte bei meiner Rückkehr fest, dass ich die ganze Zeit versehentlich Musik gehört habe. Obwohl ich sie natürlich nicht gehört habe. Also während ich unterwegs war.

Ich höre demnach sehr oft und viel Musik. Eigentlich fast immer. Außer wenn ich telefoniere und niemand am anderen Ende singt. Oder eine Warteschleifenmusik schleift. Und auch nicht beim Fernsehen. Es sei denn, ich sehe eine Musiksendung. Oder es läuft irgendeine Sendung mit Hintergrundmusik.

Wenn ich als DJ auflege höre ich übrigens in der Regel auch Musik. Aber das lässt sich wohl nicht vermeiden.

Der eilige Abend

Foto: Hannamariah

Foto: Hannamariah

Sina packte die Geschenke in Rekordzeit aus. Nach jedem einzelnen ließ sie gerade so viel Bewunderung und Dankbarkeit fließen, dass sie nicht als unhöflich galt. Ein warmer Pullover, eine Mütze, Handschuhe, Süßigkeiten, mehrere Bücher, CDs, ein MP3-Player, … Das Geschenk war noch nicht dabeigewesen. Allerdings wurde der kleine Berg, den ihre Eltern ihr unter dem Weihnachtsbaum aufgeschichtet hatten, immer flacher.

Sina gönnte sich einen Seitenblick zu ihrem Bruder. Ronni war noch mit dem zweiten Geschenk beschäftigt, einem Fotoapparat. Er probierte ihn von vorn bis hinten aus. Was Sina jedoch mehr interessierte, waren die Päckchen, die er noch nicht ausgepackt hatte. Vielleicht war den Eltern ein Fehler unterlaufen und sie hatten ihr Wunschgeschenk in Ronnis Stapel gepackt. Aber wenn er in diesem Tempo weiter auspackte, würde es noch die restlichen Feiertage brauchen, bis er endlich fertig war.

Ruhig bleiben! Noch gab es fünf Möglichkeiten. Nein, wieder ein Buch. „Die Elfenkönigin“.
Sie stand auf, lief zu Oma hin und drückte sie. „Dankeschön, du weißt eben, was ich gerne lese.“ Sie meinte es wirklich so. Sie freute sich schon darauf, das Buch aufzuklappen, aber jetzt lagen ihre Prioritäten woanders.

Schon riss sie das rot-grüne Papier vom nächsten Geschenk. Es war eigentlich viel zu groß. Überhaupt dachte sie nun, während sie Opa zuwinkte und sich für den neuen Laptop bedankte, zum ersten Mal darüber nach, wie Mama und Papa ihr Wunschgeschenk überhaupt eingepackt hatten. Ein Gutschein vielleicht? In der Karte, die sie sich gleich zu Beginn angesehen hatte, stand nur etwas von „Frohe Weihnachten und frohes Schaffen!“ Einen weiteren Briefumschlag konnte sie nicht entdecken. Er musste also in einem der verbliebenen drei Päckchen versteckt sein.

Sie griff zu einem blauen, das wiederum ein dickeres Buch sein konnte. Tatsächlich: ein Duden.
„Die neueste Auflage“, erklärte Tante Moni.
„Aha“, antwortete Sina. Sie gab sich nur noch wenig Mühe, ihre Enttäuschung zu verbergen. Wozu brauchte sie jetzt noch einen Duden? Sie war doch schon fertig.
Mit wenig Hoffnung griff sie zum nächsten Geschenk. Es war ein ganz kleines, auf dem stand: „Von Ronni, für Sina.“ Ein Notizbüchlein. „Danke, Brüderchen.“ Mehr fiel ihr dazu nicht ein.

Ihr blieb noch ein letztes Päckchen. Ein Paket. Auf einem kleinen Kärtchen stand: „Von Mama und Papa.“ Ein Gutschein war das nicht. Sie riss das rote Papier ab. Ein Drucker. Sie hob den Karton an, suchte im Geschenkpapier, ob sie vielleicht etwas übersehen hatte … Nichts!
„Gefällt er dir nicht?“, fragte Mama. „Wir dachten, den kannst du bestimmt gut brauchen. Mit dem neuen Laptop von Opa bist du doch jetzt bestens ausgerüstet.“
„Schon“, antwortete Sina. „Es ist nur …“ Sie wischte sich eine Träne von der Wange.
„Du glaubst, wir haben dein Wunschgeschenk vergessen“, sagte Papa und in Sina keimte neue Hoffnung.
„Also, so tolle Geschenke“, sagte Opa und schüttelte den Kopf.
„Wir wissen, dass dein größter Wunsch ist, Schriftstellerin zu werden“, sagte Mama schnell. „Und wir haben uns riesig gefreut, als du uns erzählt hast, dass ein Verlag deinen ersten Roman veröffentlichen will. Er ist ja auch ganz großartig.“
Sina schniefte, während sie auf das „aber“ wartete.
„Und wir finden es nicht nur toll, dass du dir mit dem Schreiben so viel Mühe gegeben hast“, ergänzte Papa, „sondern auch, wie du dich darum gekümmert hast, nach Verlagen zu suchen und all das.“
Gleich musste es kommen, das „aber“.
„Aber wir haben schon ganz schön geschluckt, als wir gehört haben, was das kosten soll“, fuhr Papa fort.
Sina hatte auch ein „aber“ parat. „Aber mein Roman ist klasse! Das haben die vom Verlag auch gesagt. Und wenn er sich gut verkauft, haben wir das Geld sogar bald wieder drin. Ich würde es mir also eigentlich nur leihen.“
„Ja, wenn“, antwortete Papa.
„Es ist wirklich sehr viel Geld“, stimmte ihm Mama zu. „Wir sollten uns in Ruhe umschauen, ob es nicht günstigere Möglichkeiten gibt.“ Mama lächelte dabei.
Das machte Sina erst richtig wütend. „Und wenn gerade das meine große Chance war? Die nehmen ja schließlich nicht jeden.“
„Wenn du dich weiter so bemühst, wirst du sicher noch weitere gute Chancen bekommen“, sagte Papa und seine Stimme verriet, dass er die Diskussion beenden wollte.
„Ach was! Jetzt war alles umsonst!“ Sina sprang auf und rannte in ihr Zimmer. Bevor sie sich aufs Bett warf, knallte sie kräftig mit der Tür.

Für sie war das ganze Weihnachtsfest versaut. Es passierte zum ersten Mal, dass ihr ein Wunschgeschenk versagt blieb. Papa und Mama verdienten beide gut genug und hatten sich bisher nie so angestellt. Ausgerechnet jetzt, wo es um ihren allergrößten Wunsch ging.

Sie hatte sich schon im Buchladen stehen sehen, den Blick auf das große Regal mit den Neuerscheinungen, in dem auch ihr Buch gestanden hätte. Wie schon so oft sah sie das Buch genau vor sich: Vorne auf dem Cover galloppierte ein weißes Einhorn mit einem goldenen Horn zwischen den Bäumen eines silbernen Waldes. Hinter einem der Stämme schaute ein kleiner behaarter Kerl hervor. „Sina Stiller – Hannah und die Sindlinge“, stand in verschnörkelten goldenen Buchstaben über dem Titelbild. Sie hatte sogar schon davon geträumt.

Nun begossen ihre Tränen den verflossenen Traum. Auf den Tag genau vor zwei Jahren hatte sie mit dem Schreiben begonnen. Und wenn ihre Eltern sie nur ein bisschen unterstützen würden, könnte es noch vor ihrem fünfzehnten Geburtstag einen Roman von ihr zu lesen geben.

Sie verkroch sich unter der Bettdecke, als es an der Tür klopfte.
„Kann ich reinkommen?“
Sina antwortete ihrer Mutter nicht.
„Da ist jemand für dich am Telefon“, sagte Mama, nachdem sie die Tür einen Spalt geöffnet hatte.
„Wer ruft denn jetzt für mich an?“ Sina hatte keine Lust zu telefonieren. Egal wer es war.
„Vielleicht ist es eine Überraschung.“
Sina brauchte eine Weile, bis sie die Bedeutung der Worte verstand. Sie warf die Decke beiseite und sprang auf. „Vom Verlag?“, schrie sie und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.
„Besser“, sagte Mama nur und tat sehr geheimnisvoll.
Was sollte schon besser sein. Sina überlegte kurz, ob sie sich nicht einfach wieder aufs Bett schmeißen sollte. Aber Mama schaute so vergnügt, dass sie ihr nicht wehtun wollte. Obwohl es nur gerecht gewesen wäre.

Betont langsam ging sie zum Telefon im Flur. „Hallo?“
„Hallo, bist du Sina?“ Die Stimme einer Frau. Sie klang ruhig und sehr angenehm.
„Ja.“
„Ich heiße Heike. Heike Hansen. Ich bin Lektorin.“
Sina horchte auf. Sie wusste genau, was eine Lektorin war. Schließlich hatte sie sich im Internet schon ein bisschen mit der Entstehung von Büchern befasst. Lektoren arbeiteten für Verlage und wählten die Bücher aus. Oder sie halfen Autoren, ihre Bücher für den Druck vorzubereiten.
„Deine Eltern haben mir erzählt, du hättest einen Roman geschrieben.“
Sina schluckte. Dann nickte sie. Als ihr auffiel, dass Frau Hansen das am Telefon gar nicht bemerken konnte, sagte sie leise: „Ja.“
„Und sie haben mir auch von dem Verlag erzählt, der dir angeboten hat, das Buch zu veröffentlichen.“
„Ja.“ Sina begann im Flur auf und ab zu laufen.
„Weißt du, was eine Lektorin ist?“
„Ja.“
„Dann weißt du auch, dass sich eine Lektorin gut mit solchen Dingen auskennt.“
„Ja.“ Sina steckte die freie Hand in die Hosentasche. Gleich darauf zog sie sie heraus. Da sie aber nicht wusste, wohin mit ihr, steckte sie sie wieder in die Hosentasche.
„Du musst wissen, liebe Sina, dass ein Verlag, der von seinen Autoren Geld verlangt, damit sie ihre Bücher dort veröffentlichen können, gar kein richtiger Verlag ist. Ein richtiger Verlag verdient erst dann an deinem Buch, wenn er es verkauft.“ Frau Hansen machte eine Pause.
Sina wusste nicht, worauf das Ganze hinauslaufen sollte, deshalb blieb sie still und wartete darauf, dass die Lektorin weitersprach.
„Deine Eltern haben mir deinen Roman geschickt und ich habe ihn gelesen. Er gefällt mir. Er hat es auf jeden Fall verdient, dass du ihn nicht an so einen Pseudoverlag verschleuderst. Ich will dir aber auch nichts vormachen. Damit aus deiner Geschichte ein richtig gutes Buch wird, das eine Chance bei einem richtigen Verlag bekommen kann, müsste man noch ein bisschen daran arbeiten. Daher habe ich mit deinen Eltern vereinbart, dass ich dich heute anrufe und dir anbiete, gemeinsam mit dir an „Hannah und die Sindlinge“ zu feilen. Und wenn wir beide damit zufrieden sind, helfe ich dir, einen Verlag zu finden, einen richtigen, der auch wirklich dafür sorgt, dass dein Buch zu den Lesern kommt. Ich kann dir nichts versprechen, aber es ist in jedem Fall der bessere Weg, als der, den du beschreiten wolltest.“
Sina schwieg noch immer. So richtig wollte sie es nicht wahrhaben. Hatte Frau Hansen gesagt, man müsse an dem Roman noch arbeiten? An einem Roman, den der andere Verlag so veröffentlicht hätte.
„Wir waren von Ihrer Geschichte und Ihrem Schreibstil sehr begeistert“, hatte in dem Anschreiben gestanden. „Wir sind sicher, Ihr Buch wird viele Leser finden.“
Sina war richtig stolz gewesen. Welcher Autor hätte das nicht gerne von einem Verlag gehört. Doch nach dem, was die Lektorin gesagt hatte, erinnerte sie sich an eine Diskussion im Internet, in der sie Ähnliches über Verlage gelesen hatte, die einen sogenannten Druckkostenzuschuss verlangten. Sie schmeichelten den Autoren, um das Geld einzustreichen, und wenn sie das erst einmal hatten, brauchten sie keines mehr durch den Verkauf der Bücher zu verdienen. Sie hatte gar nicht mehr an diese Diskussion gedacht.

„Ich kann verstehen, wenn du jetzt enttäuscht bist“, meldete sich die Lektorin wieder zu Wort. „Vielleicht willst du erst einmal in Ruhe darüber nachdenken. Und wenn du dich dafür entscheidest, würde ich gern mit dir an deinem Buch arbeiten.“

Als sie aufgelegt hatte, setzte sich Sina auf den kleinen Hocker im Flur. Frau Hansen hatte recht. Sie war wirklich enttäuscht. Aber schon viel weniger als vor dem Telefonat. Tief im Innern glaubte sie den Worten der Lektorin.

Als sie aufblickte, bemerkte sie, dass Mama und Papa in der Tür zum Wohnzimmer standen und sie beobachteten. Sina wischte sich noch einmal über die Augen und lächelte sie an. Sie stand auf und sagte: „Ich glaube, ich muss mir meine Geschenke mal in aller Ruhe ansehen.“ Sie drückte erst Mama, dann Papa und flüsterte beiden ein „Danke“ ins Ohr.

Blogroman: 6 – Die Tür

Tom war allein. Abgesehen von dem Chaos im Arbeitszimmer und der Beule am Hinterkopf deutete nichts auf einen Einbrecher hin. Fast nichts. Als er in die kleine Abstellkammer schaute, glaubte er einen schwachen Geruch wahrzunehmen, der ihn an etwas erinnerte, den er aber nicht einordnen konnte. Ein Parfüm vielleicht. Eher einer Frau zuzurechnen.
Tom ließ sich auf seine Couch fallen. Was sollte er jetzt tun? Die Polizei rufen. Das Mobilteil lag auf dem Wohnzimmertisch. Im Arbeitszimmer hätte er es sicher nicht so schnell gefunden. Er wählte schon, als ihm bewusst wurde, dass er kein Freizeichen gehört hatte. Er drückte die rote Taste, dann die grüne. Nichts. Er versuchte es wieder und wieder. Nicht einmal ein Rauschen im Hörer. Er suchte im Arbeitszimmer nach der Basisstation. Sie lag neben dem Schreibtisch, Netz- und Telefonkabel waren durchtrennt. Er griff in die Brusttasche seiner Jacke, die er noch immer am Leibe trug. Sie war leer. Dabei war er sich sicher, dass das Handy noch an seinem Platz gewesen war, als er vor der Tür nach seinem Schlüssel gesucht hatte. Er fand es aber weder in einer anderen Tasche noch dort, wo er aus der Bewusstlosigkeit erwacht war.
Er fluchte, als ihm klar wurde, dass er wohl noch einmal aus dem Haus musste. Am liebsten wäre er einfach ins Bett gegangen. Aber diese Sache machte ihm Angst und er wollte wissen, was dahinter steckte.
Als er die Wohnung verließ, untersuchte er die Tür. Es waren keine Einbruchsspuren zu entdecken. Entweder ein Profi oder jemand hatte den Schlüssel gehabt. Aber seit Lisa sich von ihm getrennt hatte, war er selbst der Einzige, der dafür in Frage kam.

Was bisher geschah