Der Geisterorden: 65 – Lanze

So langsam dieses Volk seinen Angriff auch führte, irgendwann musste jeder Abstand auf ein Minimum schrumpfen. Jetzt bereute Tom, dass er sich hier als Held aufspielte. Wieso hielt Mona ihn nicht davon ab? Warum unternahm die kampferfahrene Agentin nichts?

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Stromer (Teil 1)

Stromer

Als ich mich umdrehte, wurde das ungute Gefühl zur Gewissheit: Man verfolgte mich. Ich ging schneller, während mir klar wurde, wie aussichtslos meine Lage war. Den Weg zurück nach Bree versperrten meine Verfolger, die sich jetzt, da ich den Wald hinter mir gelassen hatte, gar nicht die Mühe gaben, nicht aufzufallen. Um mich herum erstreckte sich eine Ebene, auf der kein Entkommen möglich war. Genauso gut konnte ich weiter der Straße folgen, meinen Schritt beschleunigen und hoffen, dass die Männer hinter mir nur zufällig denselben Weg hatten wie ich.

Diese Hoffnung erschien mir beinahe töricht. Nicht umsonst war ich am Morgen in aller Frühe aufgebrochen, nachdem mir meine Dummheit am Vorabend bewusst geworden war. Noch immer ärgerte ich mich über mich selbst. All meine Vorsicht hatte ich abgelegt, ausgelöst durch zu viel Bier und Wein im Gasthaus in Bree. Auch dem eigenen Stolz und der Eitelkeit gab ich die Schuld. Eigenschaften, die mir bis dahin an mir selbst weitgehend unbekannt gewesen waren. Doch wenn ein Mann ins Ungewisse aufbricht, kann eine plötzliche Wende zum Guten, ein unvorhergesehenes Glück, all seine Prinzipien durchkreuzen.

Vor den Unruhen in meiner Heimat war ich geflohen, den Grünweg hinauf nach Norden. Ein armer Mann, der alles aufgegeben hatte, ohne zu wissen, ob er je zurückkehren oder anderswo heimisch werden könnte. Nach vielen einsamen Wegstunden fand ich bei den Hügelgräbern auf den Höhen westlich der Straße einen Zwerg in Not, der zum Dank für meine Hilfe den Schatz mit mir teilte, der ihn erst in die missliche Lage gebracht hatte. Ein versöhnliches Ende für ein Ereignis, das ich schleunigst vergessen wollte.

Umso mehr dürstete es mich nach Gesellschaft, Bier und Gesang, die ich noch am selben Abend im Gasthaus in Bree finden sollte. Zu viel von allem, denn statt zu vergessen, begann ich zu prahlen und ließ auch die Schätze nicht aus, die mein Lohn gewesen waren.

Wie konnte nur mein Misstrauen so bald hinter den Nebeln des Rausches verschwinden? Und das obwohl mir bei meiner Ankunft in der Wirtsstube gleich mehrere der Anwesenden nicht geheuer vorgekommen waren. Allen voran ein großer Mann, der in einer dunklen Ecke saß, die langen Beine in hohen Stiefeln ausgestreckt, das Gesicht fast vollständig im Schatten seiner Kapuze verborgen, die zu einem fleckigen Mantel aus dunkelgrünem Stoff gehörte.

Zwar konnte ich sie aufgrund der Entfernung nicht unterscheiden, doch ich war mir beinahe sicher, dass dieser dunkle Geselle meine Verfolger anführte. Herr Butterblume, der Wirt des Gasthauses, hatte mir auf meine Nachfrage sogar seinen Namen verraten. „Seinen richtigen Namen habe ich nie gehört. Wir hier nennen ihn Stromer. Er ist einer vom wandernden Volk – Waldläufer nennen wir sie. An Eurer Stelle würde ich mich von ihm fernhalten.“

Der Feuerwald – Teil 1

Der Feuerwald

Sven starrte in das Feuer. Allein bei dem Anblick trat ihm der Schweiß in dicken Tropfen auf die Stirn. Was mache ich hier? Ich muss bescheuert sein. Er schaute zu Lesan. Ihr Blick aus den dunklen Augen ruhte auf ihm, als wolle sie ihn prüfen. Sie hob die Schultern. „Es tut mir leid, Haltar. Ich habe alles versucht, um dich nicht rufen zu müssen.“
„Ich weiß“, antwortete Sven und wusste wieder, warum er hier war. „Ich bin froh, dass du an mich gedacht hast. Und ich halte mein Wort: Wann immer du mich brauchst, will ich dir zur Seite stehen.“
„Dann los!“, sagte Hold und schritt voran.
Sven betrachtete den Recken und schmunzelte. Es war noch immer ein seltsames Gefühl, dass Königin Lesan Thiarna, die Auserwählte, auf die Hilfe eines Sonderlings aus der anderen Welt angewiesen war, wo ihr doch ein 1. Ritter treu ergeben war, dem Hollywood kein heldenhafteres Aussehen hätte verpassen können.

Er tat es Lesan gleich und verabschiedete sich von den Pferden. Dorthin, wo sie jetzt hingingen, konnten die Tiere sie nicht begleiten. Lesans Lächeln verlieh ihm Kraft und gemeinsam folgten sie Hold, der ohne jedes Zögern direkt auf den Feuerwald zumarschierte.

Die Nacht war taghell, mit jedem Schritt wurde es heißer und es fühlte sich an, als liefen sie direkt auf die Sonne zu. Einen Wald wie diesen hatte Sven noch nie gesehen. Die Bäume, wenn es denn welche waren, wirkten eher wie riesige Gräser. Sie standen so dicht, dass man den Eindruck hatte, man steuere auf eine geschlossene Wand zu. Eine Wand aus Feuer. Bestehend aus unzähligen spitzzüngigen Flammen, die sich dem Nachthimmel entgegenreckten und ihn in Brand setzten.

Sie erreichten Hold direkt vor der Waldgrenze. Er hatte die leeren Drachenlederschläuche von Zoupar abgelegt und sich seines Wamses aus demselben Material entledigt.
„Bist du verrückt?“, fuhr ihn Lesan an. „Hast du denn alles vergessen? Wenn du ungeschützt in den Wald gehst, wird es dir die Haut abschälen, bis du vollständig verbrennst!“
Hold sah sie ratlos an. „Und was soll ich nun tun, Herrin?“
„Zieh das Wams wieder an! Und vergiss den Gesichtsschutz nicht!“
Sven musste ein Kichern unterdrücken. Die Wan waren ein so schönes Volk, doch abgesehen von ihrer jungen Königin waren sie erbärmliche Trottel. So liebenswert sie das machte, manchmal konnte es einen an den Rand der Verzweiflung bringen. Für Sven allerdings bot das letztlich einen großen Vorteil, das war ihm durchaus bewusst. Endlich einmal fühlte nicht er sich als Trottel! Das stärkte das Selbstbewusstsein. Denn in Wanaheil wurde er bewundert, obwohl alle um ihn herum viel besser aussahen als er. Doch hier zählte seine Intelligenz und sein strategisches Geschick.

Viel sympathischer machte das den Feuerwald nicht. Und obgleich das Drachenleder an ihrem Körper das Schlimmste verhindern sollte, half es kaum gegen die Hitze. Schon nach wenigen Metern hätte Sven einen Saunagang mit seiner Familie, dieses wöchentliche Ritual, dem er sich seit Jahren vergeblich zu entziehen suchte, als willkommene Abkühlung empfunden.

Je weiter sie kamen, desto beschwerlicher wurde es. Der Schweiß sammelte sich unter dem Leder, statt zu verdampfen, und bildete einen Film aus kochender Flüssigkeit. Die Haut darunter brannte, als habe Sven es sich in einem Pizzaofen bequem gemacht. Das Blut pulsierte siedend heiß, in der Kehle kratzte die Trockenheit, der Kopf wollte zerspringen. Sein ganzer Körper bestand aus feurigem Schmerz. Der Geruch von schwitzendem Leder und verbrannter Haut stieg ihm in die Nase. In seinen Ohren summte es wie ein Schwarm Hornissen.

Dabei musste Sven immer wieder die Augen schließen, weil er das Gefühl hatte, er hielte sein Gesicht direkt in ein blendendes Lagerfeuer und müsse dabei unweigerlich erblinden. Die gleißende Helligkeit um ihn herum ließ ihn nur wenig erkennen. Nur einmal fiel ihm auf, dass selbst die Feuerpflanzen dicke, rötlich glitzernde Tropfen ausschieden.

Bei jedem Schritt kämpfte sein Geist mit dem verführerischen Gedanken umzukehren. Wenigstens den schweren Rucksack hätte er gern abgelegt, doch genau den würde er noch brauchen. Mit dem Ziel dieser Tour durch die Hölle wollte er sich allerdings gar nicht erst befassen.

Quälend war es auch, mit anzusehen, wie selbst das schöne Gesicht Lesans unter der Hitze litt. Anfangs hatte sie noch versucht, ihr Leiden zu verbergen, doch inzwischen hätte sie das zu viel Kraft gekostet. Wie ein verhungerndes Rehkitz schleppte sie sich vorwärts und Sven schien es, als hingen selbst die stolzen Spitzen ihrer Ohren ein wenig herab.

Auch Hold keuchte. Dabei schienen ihm die Strapazen noch am wenigsten auszumachen. Sven vermutete, dass der Ritter mit stoischer Ruhe in den Tod laufen würde, sollte Lesan das von ihm verlangen.

Doch plötzlich blieb der Recke stehen und überlegte. Langsam drehte er sich um und krächzte, als habe er seit der Entwöhnung von der Muttermilch nichts mehr zu trinken bekommen: „Ich glaube, wir sind am Ziel, Herrin.“
Lesan hob den Kopf. „Ja, hier sind wir. Im Zentrum des Feuerwalds an den Heißen Wassern. Hier lebt Dragen Fiur, der die Quelle des Waldes bewacht.“
Als Sven zu sprechen begann, fürchtete er, ihm würde die Stimme noch während der ersten Worte verloren gehen, um niemals wiederzukehren. „Wollt ihr noch etwas ausruhen, bevor wir den Plan in die Tat umsetzen?“
Lesan schüttelte kaum merklich den Kopf. „Je schneller wir diesen Ort verlassen können, desto besser.“
Sven bemühte sich, seine Strategie noch einmal ausführlich zu erklären, wobei er vor allem Hold fixierte. Glücklicherweise sah sein Plan vor, dass der 1. Ritter bei Lesan bleiben würde, die ihm zur Not noch einmal die genauen Anweisungen geben könnte.

Er wartete, bis sich die beiden außer Sichtweite befanden. Es kam ihm so vor, als wären Stunden vergangen, bis es endlich so weit war. Dann kroch er näher an den See heran, und setzte sich ans Ufer, als sei er ein Tourist an der Müritz. Doch gleich darauf sprang er wieder auf. Er hätte sich denken können, dass der Boden ihm den Hintern verbrennen würde.

Er schaute sich um. Lesan hatte recht gehabt. Weit und breit war nicht ein einziger Stein zu sehen. Sven öffnete seinen Rucksack und griff hinein. Selbst die Kaltsteine, die ihm Lesans Magier Zoupar mitgegeben hatte, waren so heiß, dass er sie trotz der Handschuhe kaum berühren konnte. Jeder andere Stein wäre längst geschmolzen.

Er nahm sich keine Zeit zum Zielen. Er hätte ohnehin nicht gewusst, welche Stelle in dem rot glühenden See die beste für sein Vorhaben war. Mit einem lauten Platschen und zischenden Dämpfen verschwand der Stein in den Lavafluten. Sven warf gleich noch einen zweiten hinterher, nach einer kleinen Pause einen dritten.

Als er sich erneut bückte, um den vierten Stein aufzunehmen, hörte er ein deutliches Brodeln, das die üblichen Geräusche der Heißen Wasser noch übertönte. Weit schneller, als er es sich bei diesen Temperaturen zugetraut hätte, fuhr er herum. Riesige Blasen entstanden um einen noch größeren Strudel in der Mitte des Sees. Dann hob sich ein Kopf aus dem dampfenden Rot, der die Dimensionen eines Kleinbusses hatte und aussah wie bei einer Kreuzung aus Krokodil, Nashorn und Flammenwerfer.

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Kampf mit dem Zwerg

Kampf mit dem Zwerg (Foto: Mark William Penny)

Kampf mit dem Zwerg (Foto: Mark William Penny)

Als er ihm gegenüberstand, beschlich ihn das Gefühl, er beginge eine große Dummheit. Der grimmige Ausdruck im Gesicht des Zwergs erinnerte ihn schmerzlich daran, dass dieses Volk als eines der kämpferischsten galt. Einen Moment lang geisterten ihm Rückzugsgedanken durchs Hirn. Dann jedoch rief er sich im Stillen selbst Mut zu: „Ardon, reiß dich zusammen! Du bist hier, um eine edle Dame aus ihrer Notlage zu befreien. Sei der Held, der du immer sein wolltest und stelle dich dem Kampf. Die vielen Lehrjahre sollen nicht umsonst gewesen sein!“
So trat er vor und zog seinen Beidhänder. Selbst der Tod wäre ehrenvoll, dachte er, dann führte er einen ersten Schlag.
Der Zwerg wich aus. „Ich werde dich lehren, was es heißt, den Kampf mit Rodin, Sohn des Robin, aufzunehmen!“, brüllte der kleine Kerl und schwang seine Axt so geschickt, dass Ardon in arge Bedrängnis geriet.
Immer schneller und heftiger wurden die Angriffe des Zwergs und Ardon hatte Mühe, sich der Ratschläge seines ritterlichen Lehrmeisters Turo zu erinnern. „Lass dich nicht von der Leidenschaft übermannen. Verlagere dein Gewicht. Werde eins mit deiner Klinge. Überrasche deinen Gegner.“
Letzteres zumindest schien ihm mit der Zeit zu gelingen. Der Zwerg hatte wohl nicht mit der Wendigkeit des Menschen gerechnet. Ardon sah ihm an, dass er langsam müde wurde. Jetzt könnte er seine Jugend ausspielen.
Nach und nach streute er Finten und kleine Gegenangriffe in seine Abwehr ein. Er nutzte Bäume und Sträucher, um seinen Feind zu verwirren. Dann täuschte er vor, seine Kräfte schwänden. Als der Zwerg gerade mit einem breiten Grinsen zum finalen Schlag ausholte, stieß Ardon zu und rammte sein Schwert tief in die Brust Rodins.
Der Getroffene schrie nicht. Sein Blick, auf Ardon gerichtet, war Verwunderung und Anklage zugleich. Die kurzen Beine knickten ihm ein. Sein Atem wurde zu einem Röcheln. Noch immer schaute er Ardon an.
Der stieß immer tiefer zu. Wie von Sinnen stemmte er sich gegen seine Waffe, bis das Röcheln verklang und Rodins Augen ihr Licht verloren.
Ardon sank auf die Knie. Er konnte noch gar nicht fassen, was er soeben vollbracht hatte. Fast überwältigte ihn seine Tat.
Schließlich half ihm nur der Gedanke an die Herrin auf die Beine. Er zückte sein Messer und schnitt mit einiger Überwindung den Bart vom Kinn des Zwergs. Sorgfältig verstaute er ihn in der Tasche, in der sich bereits das Horn eines unachtsamen Einhorns und das Herz einer müden Waldelfe befanden. Nun könnte der Hofmagier die verlangte Wundersalbe herstellen, mit der sich die Herrin von einem unschönen Schönheitsfleck befreien wollte.