Blutroter Himmel

Blutroter Himmel

Maria hetzte durch die Nacht. Längst hatte sie das Zentrum der Stadt verlassen. Doch sie musste weiter, konnte nicht umkehren. Hier drang das Licht der wenigen Straßenlaternen kaum bis zur brüchigen Decke des Gehsteigs vor, verfing sich in den nebligen Schwaden, die aus dem Boden krochen wie Schlangen aus dem Korb ihres Beschwörers.

Maria wusste, nur noch wenige Meter, bis die letzte Laterne das Ende des Gehsteigs ankündigte. Dort versanken die Absätze in feuchtem Matsch, den der geschmolzene Schnee zurückgelassen hatte. Kein Weiß mehr, das der Nacht wenigstens einen Schimmer des Dunkels berauben konnte.

Maria stockte in ihrem Schritt. Den Baum, der mit nackten Fingern nach der Unendlichkeit des Alls griff, schmückte eine einzelne Plastiktüte, die alles Licht der Laterne einzufangen suchte. Es war, als ob dieser einsame Vertreter der Vorhut des Waldes, den die Neustädter den Geisterwald nannten, ihr die weiße Fahne schwenkte.

Sie wandte den Blick ab und sah den Schatten auf sie zukommen. Sie ahnte, dass er es war. Er, von dem sie gehofft hatte, ihm nie wieder zu begegnen.

Noch einmal schaute sie zur weißen Fahne. Der Himmel färbte sich blutrot. Ein Schütteln begleitete den Griff ins Innenfutter ihres Mantels, wo das Messer darauf wartete, ihn zu treffen. Ihn, der der einzige Grund war, warum sie jeden Abend diesen Weg ging.

Blutroter Himmel
Maria hetzte durch die Nacht. Längst hatte sie das Zentrum der Stadt verlassen. Doch sie musste weiter, konnte nicht umkehren. Hier drang das Licht der wenigen Straßenlaternen kaum bis zur brüchigen Decke des Gehsteigs vor, verfing sich in den nebligen Schwaden, die aus dem Boden krochen wie Schlangen aus dem Korb ihres Beschwörers.
Maria wusste, nur noch wenige Meter, bis die letzte Laterne das Ende des Gehsteigs ankündigte. Dort versanken die Absätze in feuchtem Matsch, den der geschmolzene Schnee zurückgelassen hatte. Kein Weiß mehr, das der Nacht wenigstens einen Schimmer des Dunkels berauben konnte.
Maria stockte in ihrem Schritt. Den Baum, der mit nackten Fingern nach der Unendlichkeit des Alls griff, schmückte eine einzelne Plastiktüte, die alles Licht der Laterne einzufangen suchte. Es war, als ob dieser einsame Vertreter der Vorhut des Waldes, den die Neustädter den Geisterwald nannten, ihr die weiße Fahne schwenkte.
Sie wandte den Blick ab und sah den Schatten auf sie zukommen. Sie ahnte, dass er es war. Er, von dem sie gehofft hatte, ihm nie wieder zu begegnen.
Noch einmal schaute sie zur weißen Fahne. Der Himmel färbte sich blutrot. Ein Schütteln begleitete den Griff ins Innenfutter ihres Mantels, wo das Messer darauf wartete, ihn zu treffen. Ihn, der der einzige Grund war, warum sie jeden Abend diesen Weg ging.Blutroter Himmel

Maria hetzte durch die Nacht. Längst hatte sie das Zentrum der Stadt verlassen. Doch sie musste weiter, konnte nicht umkehren. Hier drang das Licht der wenigen Straßenlaternen kaum bis zur brüchigen Decke des Gehsteigs vor, verfing sich in den nebligen Schwaden, die aus dem Boden krochen wie Schlangen aus dem Korb ihres Beschwörers.

Maria wusste, nur noch wenige Meter, bis die letzte Laterne das Ende des Gehsteigs ankündigte. Dort versanken die Absätze in feuchtem Matsch, den der geschmolzene Schnee zurückgelassen hatte. Kein Weiß mehr, das der Nacht wenigstens einen Schimmer des Dunkels berauben konnte.

Maria stockte in ihrem Schritt. Den Baum, der mit nackten Fingern nach der Unendlichkeit des Alls griff, schmückte eine einzelne Plastiktüte, die alles Licht der Laterne einzufangen suchte. Es war, als ob dieser einsame Vertreter der Vorhut des Waldes, den die Neustädter den Geisterwald nannten, ihr die weiße Fahne schwenkte.

Sie wandte den Blick ab und sah den Schatten auf sie zukommen. Sie ahnte, dass er es war. Er, von dem sie gehofft hatte, ihm nie wieder zu begegnen.

Noch einmal schaute sie zur weißen Fahne. Der Himmel färbte sich blutrot. Ein Schütteln begleitete den Griff ins Innenfutter ihres Mantels, wo das Messer darauf wartete, ihn zu treffen. Ihn, der der einzige Grund war, warum sie jeden Abend diesen Weg ging.

Der Feuerwald – Teil 2

Der Feuerwald

Teil 1 verpasst? Hier entlang!

Wie es sein eigener Plan vorsah, tat Sven aufs Heftigste erschrocken, was ihm bei diesem Anblick in keinster Weise schwerfiel.

„Welcher Narr wagt es, mich in meiner Ruhe zu stören?“, donnerte Dragen, derweil ihm der flammende Speichel von den monumentalen Eckzähnen tropfte.
„Oh, verzeiht, Herr Drache“, antwortete Sven und versuchte sich vorzustellen, er spräche mir seinem Nachbarn, Herrn Grimm, was ihm seltsamerweise erstaunlich gut gelang. „Ich wusste nicht, dass dies hier Eure Ruhestätte ist. Glaubt mir, es lag mir fern, Euch zu stören, bestenfalls wollte ich Euch warnen.“
„Mich warnen?“ Die Bestie lachte derartig, dass sie beinahe an den Lavaströmen aus ihren Nüstern erstickt wäre.
Das konnte Sven nur recht sein. Ein bisschen gute Laune konnte auch bei einem Drachen nicht schaden. Als Dragen den Hustenanfall überlebt hatte und Sven sicher war, dass sein Stimmchen wieder an die Ohren des Ungeheuers dringen konnte – sofern bei einem Drachen so etwas wie Ohren existieren – entgegnete er: „Natürlich, Ihr habt recht. Welche Gefahr könnte es schon geben, vor der ich Euch warnen müsste. So beachtet mich nicht weiter und lasst mich ziehen. Schließlich müsst Ihr Euch auf die wirklich großen Kämpfe vorbereiten.“ Damit wandte er sich zum Gehen.
„Halt, Bürschchen! Von welchen Kämpfen redest du?“ Dragen Fiur richtete sich weiter auf und seine Brust kam zum Vorschein, auf der eine Jugendmannschaft bequem ein Fußballspielchen hätte abhalten können, im ausgekühlten Zustand versteht sich.
„Oh, Ihr werdet leichtes Spiel mit ihnen haben, denn sie sind sicher einen Kopf kleiner als Ihr. Die meisten jedenfalls.“
Dragen Fiur schnaubte überrascht. „Die meisten? Wie viele sind es denn?“
„Ich bin klein, Herr Drache. Ich traute mich nicht, so lange in ihrer Nähe zu bleiben, dass ich sie zählen konnte. Aber ich denke, es werden kaum mehr als zehn sein. Und sie scheinen Euch sehr zu fürchten, denn sie kämpfen statt mit Euch mit den Pflanzen Eures Waldes. Sie haben schon einen guten Teil vernichtet.“ Sven bemerkte zu spät, dass er vielleicht zu weit gegangen war. Einerseits wollte er das Ungetüm von seinem Platz hinfort locken und fürchtete, ihm möglicherweise mit der Anzahl der Gegner Angst einzujagen, andererseits fiel ihm ein, dass der Drache mit seinem Wald eng verbunden war. Vermutlich würde er es spüren, wenn jemand eine derartige Verwüstung unter seinen Feuerpflanzen anrichten würde.

Tatsächlich blickte ihn Dragen misstrauisch an. Dann schüttelte er sich. „Ich fühle mich wirklich ein bisschen schwächer als sonst.“
Sven lächelte. Einbildung ist auch eine Bildung, sagte er sich. Doch das Lächeln verging ihm, als das Ungeheuer zu brüllen begann. „Dem muss sofort Einhalt geboten werden! Wo finde ich diese Wüstlinge?“ Das Ungetüm stemmte sich aus dem See und wuchs dabei zu einer Größe heran, die selbst der mächtige Schädel Dragens nicht hatte vermuten lassen.
„Nun, wenn Ihr mir versprecht, mich vor den Eindringlingen zu beschützen, werde ich Euch zu ihnen führen.“

Dragen Fiur war einverstanden und so ging Svens Plan auf und er selbst voraus, während der Feuerdrache ihm hinterherstampfte. Zufrieden mit sich selbst suchte Sven möglichst viel Zeit zu schinden und den Herrscher des Feuerwalds dabei so weit wie möglich vom See wegzuführen, damit Lesan und Hold gefahrlos aus den Heißen Wassern schöpfen konnten, um Zoupar weiterhin die Energie für den Schutz Wanaheils zu liefern.

Die Aufregung hatte ihn fast vergessen lassen, wo er sich befand, doch schon bald spürte er seine Umgebung wieder und die Hitze, verstärkt durch die Anwesenheit seines unangenehmen Begleiters, drängte alle anderen Gedanken und Wahrnehmungen zurück. Er war am Ende seiner Kräfte und getraute sich dennoch nicht, jetzt schon sein eigenes Leben zu retten. Doch mehr und mehr fürchtete er, sein Hinhalten könne in Dragen wieder das Misstrauen wecken.

Tatsächlich blieb dieser plötzlich stehen und fauchte, dass die Funken stoben. „Jetzt spüre ich es ganz deutlich! Jemand stiehlt mir meine Lebenssäfte!“
Da wusste Sven, dass Lesan und ihr Ritter das Reich des Drachen verlassen hatten. „Seht Ihr!“, rief er. „Die Räuber müssen ganz in der Nähe sein.“ Er mühte sich, am ganzen Körper möglichst auffällig zu schlottern, was ihm angesichts der Temperaturen höchst unpassend schien. „Ich bin kein Held und fürchte mich, ihnen näher zu kommen. Doch wenn ihr nur ein Stück weiter in diese Richtung geht, könnt ihr sie nicht verfehlen.“
In unübersehbarerer Erregung und ohne ein Dankeswort stürmte Dragen Fiur an ihm vorbei, eine Spur der Verbrennung in einem verbrannten Land hinter sich lassend. Sven dagegen beeilte sich, davonzukommen. Er hatte den Drachen nah an der Rand seines Machtbereichs geführt und brauchte nur noch wenige Meter hinter sich zu bringen, um aus dem Feuerwald zu treten. Dennoch hielt er nicht inne, bis er den Abstand um ein Vielfaches vergrößert und die Hitze deutlich nachgelassen hatte.

Nun fühlte er sich in Sicherheit, denn Dragen konnte außerhalb seines Waldes nicht überleben. Noch immer sah er die wütende Kreatur nahe des Waldrands toben, auf der Suche nach den erfundenen Gegnern.

Sven befand sich nun fast auf der gegenüberliegenden Seite des Feuerwalds und wusste noch einen weiten Weg vor sich, bis er den Treffpunkt erreichte. Dort aber sähe er Lesan wieder, hoffend, ihre Dankbarkeit für seine Taten würde endlich in größere Gefühle umschlagen.

Der Feuerwald – Teil 1

Der Feuerwald

Sven starrte in das Feuer. Allein bei dem Anblick trat ihm der Schweiß in dicken Tropfen auf die Stirn. Was mache ich hier? Ich muss bescheuert sein. Er schaute zu Lesan. Ihr Blick aus den dunklen Augen ruhte auf ihm, als wolle sie ihn prüfen. Sie hob die Schultern. „Es tut mir leid, Haltar. Ich habe alles versucht, um dich nicht rufen zu müssen.“
„Ich weiß“, antwortete Sven und wusste wieder, warum er hier war. „Ich bin froh, dass du an mich gedacht hast. Und ich halte mein Wort: Wann immer du mich brauchst, will ich dir zur Seite stehen.“
„Dann los!“, sagte Hold und schritt voran.
Sven betrachtete den Recken und schmunzelte. Es war noch immer ein seltsames Gefühl, dass Königin Lesan Thiarna, die Auserwählte, auf die Hilfe eines Sonderlings aus der anderen Welt angewiesen war, wo ihr doch ein 1. Ritter treu ergeben war, dem Hollywood kein heldenhafteres Aussehen hätte verpassen können.

Er tat es Lesan gleich und verabschiedete sich von den Pferden. Dorthin, wo sie jetzt hingingen, konnten die Tiere sie nicht begleiten. Lesans Lächeln verlieh ihm Kraft und gemeinsam folgten sie Hold, der ohne jedes Zögern direkt auf den Feuerwald zumarschierte.

Die Nacht war taghell, mit jedem Schritt wurde es heißer und es fühlte sich an, als liefen sie direkt auf die Sonne zu. Einen Wald wie diesen hatte Sven noch nie gesehen. Die Bäume, wenn es denn welche waren, wirkten eher wie riesige Gräser. Sie standen so dicht, dass man den Eindruck hatte, man steuere auf eine geschlossene Wand zu. Eine Wand aus Feuer. Bestehend aus unzähligen spitzzüngigen Flammen, die sich dem Nachthimmel entgegenreckten und ihn in Brand setzten.

Sie erreichten Hold direkt vor der Waldgrenze. Er hatte die leeren Drachenlederschläuche von Zoupar abgelegt und sich seines Wamses aus demselben Material entledigt.
„Bist du verrückt?“, fuhr ihn Lesan an. „Hast du denn alles vergessen? Wenn du ungeschützt in den Wald gehst, wird es dir die Haut abschälen, bis du vollständig verbrennst!“
Hold sah sie ratlos an. „Und was soll ich nun tun, Herrin?“
„Zieh das Wams wieder an! Und vergiss den Gesichtsschutz nicht!“
Sven musste ein Kichern unterdrücken. Die Wan waren ein so schönes Volk, doch abgesehen von ihrer jungen Königin waren sie erbärmliche Trottel. So liebenswert sie das machte, manchmal konnte es einen an den Rand der Verzweiflung bringen. Für Sven allerdings bot das letztlich einen großen Vorteil, das war ihm durchaus bewusst. Endlich einmal fühlte nicht er sich als Trottel! Das stärkte das Selbstbewusstsein. Denn in Wanaheil wurde er bewundert, obwohl alle um ihn herum viel besser aussahen als er. Doch hier zählte seine Intelligenz und sein strategisches Geschick.

Viel sympathischer machte das den Feuerwald nicht. Und obgleich das Drachenleder an ihrem Körper das Schlimmste verhindern sollte, half es kaum gegen die Hitze. Schon nach wenigen Metern hätte Sven einen Saunagang mit seiner Familie, dieses wöchentliche Ritual, dem er sich seit Jahren vergeblich zu entziehen suchte, als willkommene Abkühlung empfunden.

Je weiter sie kamen, desto beschwerlicher wurde es. Der Schweiß sammelte sich unter dem Leder, statt zu verdampfen, und bildete einen Film aus kochender Flüssigkeit. Die Haut darunter brannte, als habe Sven es sich in einem Pizzaofen bequem gemacht. Das Blut pulsierte siedend heiß, in der Kehle kratzte die Trockenheit, der Kopf wollte zerspringen. Sein ganzer Körper bestand aus feurigem Schmerz. Der Geruch von schwitzendem Leder und verbrannter Haut stieg ihm in die Nase. In seinen Ohren summte es wie ein Schwarm Hornissen.

Dabei musste Sven immer wieder die Augen schließen, weil er das Gefühl hatte, er hielte sein Gesicht direkt in ein blendendes Lagerfeuer und müsse dabei unweigerlich erblinden. Die gleißende Helligkeit um ihn herum ließ ihn nur wenig erkennen. Nur einmal fiel ihm auf, dass selbst die Feuerpflanzen dicke, rötlich glitzernde Tropfen ausschieden.

Bei jedem Schritt kämpfte sein Geist mit dem verführerischen Gedanken umzukehren. Wenigstens den schweren Rucksack hätte er gern abgelegt, doch genau den würde er noch brauchen. Mit dem Ziel dieser Tour durch die Hölle wollte er sich allerdings gar nicht erst befassen.

Quälend war es auch, mit anzusehen, wie selbst das schöne Gesicht Lesans unter der Hitze litt. Anfangs hatte sie noch versucht, ihr Leiden zu verbergen, doch inzwischen hätte sie das zu viel Kraft gekostet. Wie ein verhungerndes Rehkitz schleppte sie sich vorwärts und Sven schien es, als hingen selbst die stolzen Spitzen ihrer Ohren ein wenig herab.

Auch Hold keuchte. Dabei schienen ihm die Strapazen noch am wenigsten auszumachen. Sven vermutete, dass der Ritter mit stoischer Ruhe in den Tod laufen würde, sollte Lesan das von ihm verlangen.

Doch plötzlich blieb der Recke stehen und überlegte. Langsam drehte er sich um und krächzte, als habe er seit der Entwöhnung von der Muttermilch nichts mehr zu trinken bekommen: „Ich glaube, wir sind am Ziel, Herrin.“
Lesan hob den Kopf. „Ja, hier sind wir. Im Zentrum des Feuerwalds an den Heißen Wassern. Hier lebt Dragen Fiur, der die Quelle des Waldes bewacht.“
Als Sven zu sprechen begann, fürchtete er, ihm würde die Stimme noch während der ersten Worte verloren gehen, um niemals wiederzukehren. „Wollt ihr noch etwas ausruhen, bevor wir den Plan in die Tat umsetzen?“
Lesan schüttelte kaum merklich den Kopf. „Je schneller wir diesen Ort verlassen können, desto besser.“
Sven bemühte sich, seine Strategie noch einmal ausführlich zu erklären, wobei er vor allem Hold fixierte. Glücklicherweise sah sein Plan vor, dass der 1. Ritter bei Lesan bleiben würde, die ihm zur Not noch einmal die genauen Anweisungen geben könnte.

Er wartete, bis sich die beiden außer Sichtweite befanden. Es kam ihm so vor, als wären Stunden vergangen, bis es endlich so weit war. Dann kroch er näher an den See heran, und setzte sich ans Ufer, als sei er ein Tourist an der Müritz. Doch gleich darauf sprang er wieder auf. Er hätte sich denken können, dass der Boden ihm den Hintern verbrennen würde.

Er schaute sich um. Lesan hatte recht gehabt. Weit und breit war nicht ein einziger Stein zu sehen. Sven öffnete seinen Rucksack und griff hinein. Selbst die Kaltsteine, die ihm Lesans Magier Zoupar mitgegeben hatte, waren so heiß, dass er sie trotz der Handschuhe kaum berühren konnte. Jeder andere Stein wäre längst geschmolzen.

Er nahm sich keine Zeit zum Zielen. Er hätte ohnehin nicht gewusst, welche Stelle in dem rot glühenden See die beste für sein Vorhaben war. Mit einem lauten Platschen und zischenden Dämpfen verschwand der Stein in den Lavafluten. Sven warf gleich noch einen zweiten hinterher, nach einer kleinen Pause einen dritten.

Als er sich erneut bückte, um den vierten Stein aufzunehmen, hörte er ein deutliches Brodeln, das die üblichen Geräusche der Heißen Wasser noch übertönte. Weit schneller, als er es sich bei diesen Temperaturen zugetraut hätte, fuhr er herum. Riesige Blasen entstanden um einen noch größeren Strudel in der Mitte des Sees. Dann hob sich ein Kopf aus dem dampfenden Rot, der die Dimensionen eines Kleinbusses hatte und aussah wie bei einer Kreuzung aus Krokodil, Nashorn und Flammenwerfer.

Weiter zu Teil 2.

Blutweg

Blutweg

Jacky schaute ihn herausfordernd an. „Na, immer noch die große Klappe?“
Martin blickte sich um. „Ist doch schön hier.“
„Warte, gleich geht die Sonne unter.“ Sie setzte sich auf einen großen Baumstumpf.

Martin blickte sich um. Schon jetzt war er sich nicht mehr ganz sicher, ob an den Gruselgeschichten, die Jacky ihm erzählt hatte, nicht doch etwas dran war. Der Monsterwald! Er hatte Jacky ausgelacht, als sie behauptete, das sei nicht nur so ein Name. Gab es hier vielleicht wirklich unheimliche Wesen? So ein Quatsch! Immerhin wies ein Weg darauf hin, dass sehr wohl Menschen unter den Bäumen spazierten. Und er sah aus wie jeder andere Weg auch. Der Blutweg! Von wegen.
Er bemerkte das Lächeln Jackys, mit dem sie ihn beobachtete. Mit einem Schulterzucken setzte er sich neben sie. „Ich kann nichts Besonderes entdecken.“ Er gab seiner Stimme einen betont gelangweilten Ausdruck. Dabei sorgte allein die Tatsache, dass er hier neben Jacky saß, für ein Kribbeln in der Bauchgegend.
„Schau!“, sagte sie nur und zeigte nach oben.
Es war ein großartiges Schauspiel. Wie in Zeitlupe entflammte der Himmel und die Wolken sogen sich mit roter Farbe voll.
„Schau!“, sagte Jacky wieder, doch dieses Mal zeigte sie direkt vor sich. „Der Blutweg!“
Jetzt verstand Martin. Von einem Moment zum anderen hatte sich alles verwandelt. Die Bäume hüllten sich in eine Dunkelheit, als sei die Sonne bereits vollständig untergegangen. In den Kronen rauschte ein Wind, der hier unten nicht zu spüren war. Der Weg aber schimmerte in einem dunklen Rot. Und als wolle er den Wanderer über sein Ziel verunsichern, verschwand er nach nur wenigen Metern zwischen den Bäumen. Keine zehn Pferde würden Martin dazu bringen, diesem Weg zu folgen.

„Habe ich es doch gewusst. Du bist ein Schisser wie alle anderen.“ Jacky musste seine Gedanken gelesen haben.
„Nein, bin ich nicht.“ Es überzeugte ihn selbst nicht. Gab es keine Möglichkeit, aus dieser Situation heil rauszukommen? Er war so froh gewesen, als Jacky endlich ein bisschen Interesse für ihn gezeigt hatte. Endlich bekam der Umzug in dieses Kaff einen Sinn. Doch jetzt stellte sie ihn auf eine harte Probe. Er war sich sicher, würde er jetzt kneifen, hätte er alle Chancen bei ihr verspielt. „Lass uns gehen!“

Mit jedem Schritt bereute er seine Entscheidung mehr. Und mit jedem Schritt stieg seine Bewunderung für Jacky. Wenn sie von derselben Angst heimgesucht wurde wie er, ließ sie es sich nicht anmerken. Trotzdem. Mit diesem Wald stimmte irgendetwas nicht. Unter den Bäumen war es kühl. Und obwohl die Sonne längst untergegangen war, warfen die Bäume lange Schatten. Dass es nicht völlig dunkel war, lag einzig an dem merkwürdigen Weg, der auch jetzt noch rot schimmerte, als habe die verschwundene Sonne seinen Akku für die gesamte Nacht aufgeladen. Und je weiter sie kamen, desto sicherer war Martin, dass er sich den Geruch von Blut nicht nur einbildete.
Wenn er sich wenigstens durch ein Gespräch mit seiner hübschen Begleiterin ablenken könnte. Doch er wusste nicht, was er sagen sollte, und fürchtete, seine Stimme nicht kontrollieren zu können. Sein Mund war trocken, seine Kehle rau. Um sich die Lippen zu befeuchten, musste er seine Zunge vom Gaumen losreißen. Es war sowieso nur ein Reflex, denn die Zunge war selbst nicht wirklich feucht.
Jacky wirkte dagegen wie Alice im Wunderland. Mit ihren großen Augen sog sie die verzerrten Bilder auf, die die Lichtkegel der Taschenlampen erzeugten, als ginge sie durch einen Freizeitpark. Martin hätte die ewig gleichen Eindrücke wahrscheinlich als gähnend langweilig empfunden, wäre da nicht dieser eine, der alles dominierte: Der Wald wurde immer feindseliger, die Nacht immer dunkler und die Stille immer drückender.

Nach etwa einer Stunde hielt er es nicht mehr aus. „Hattest du nicht gesagt, der Wald sei klein?“ Es war nur ein Flüstern, aber er hatte plötzlich das Gefühl, er habe den Monsterwald jetzt erst richtig auf sich aufmerksam gemacht.
„Ist er ja auch. Vielleicht noch eine viertel Stunde, dann hast du es hinter dir, du Schisser.“
„Ich bin kein …“ Ein Knacken brachte ihn zum Schweigen.
Auch Jacky blieb stehen. Mit der Taschenlampe suchte sie ein dichtes Gebüsch ab, während das Licht aus Martins Stablampe zwischen den Stämmen hin und her zitterte.
„Was war das?“, keuchte er.
„Psssst!“
Es raschelte genau dort, wo Jacky hinleuchtete. Mit einem kräftigen Klopfer, setzte Martins Herzschlag aus. Wieder krachte es im Unterholz, dann brach sich etwas einen Weg durch die Zweige.

Martin rannte! Sein Herz schien die Sekunden, die es sich frei genommen hatte, doppelt und dreifach nachholen zu wollen. Und es verstopfte ihm die Kehle. Doch er rannte immer weiter. Das Monster war direkt hinter ihm. Er konnte seinen keuchenden Atem hören.

Martin schaute nicht zurück, sah kaum den schimmernden Weg vor sich. Er bemerkte nicht einmal, wie er die Bäume hinter sich ließ, und es dauerte noch mal eine Weile, bis ihm klar wurde, dass ihn niemand mehr verfolgte. Er blieb stehen, stützte die Hände auf die Knie und versuchte, seine Atmung in den Griff zu bekommen. Dabei lauschte er angestrengt auf etwaige Geräusche.

Der Mond tauchte die Felder in fahles Licht und den Weg in ein silbriges Blau. Langsam drehte Martin sich um. Noch immer wirkte der Wald bedrohlich. Martin richtete sich kerzengerade auf, als er eine Bewegung wahrnahm. Täuschte er sich? Nein, da kam eine Gestalt den Weg herauf. Martin spannte die Muskeln an. Ein Licht flammte auf. Das Licht einer Taschenlampe. Es war Jacky, die ihm zuwinkte.

Als sie bei ihm war, gab sie ihm seine Stablampe. „Hier, die hast du fallenlassen.“
„Danke“, flüsterte er.
„Schisser!“
„Ich bin …“
„Läuft vor einem Vogel davon!“ Sie schüttelte den Kopf.
„Ein Vogel?“
„Aber schnell und ausdauernd bist du, das muss man dir lassen. Ich bin die Schnellste in der Klasse. Aber am Waldrand hab ich aufgegeben.“
„Du?“
Sie nickte.
„Meinetwegen, bin ich eben ein Schisser. Mir egal, wenn du jetzt nichts mehr mit mir zu tun haben willst. Aber ich geh nicht wieder durch diesen Wald. Wenn du auf demselben Weg zurückgehen möchtest, dann ohne mich!“
Jacky lachte. „Komm, da drüben ist gleich die Straße. Meine Güte, mit dir erlebt man Abenteuer.“ Sie klopfte ihm auf die Schulter.

Martin ärgerte sich über sich selbst. Ein Vogel! Konnte das wahr sein? Er betrachtete Jacky verstohlen von der Seite, als sie das Dorf erreichten. Und im Licht einer Straßenlaterne sah er die Tränen, die ihr über die schönen Wangen liefen.

Wasel und Waseline (Teil 2)

Wusel 3

Illustration: Kristina Ruprecht

Er richtet sich auf und lauscht genauer. Die Stimme kennt er doch. Und sie kommt genau auf ihn zu. Er muss nur warten.

Nach allerhöchstens zehn Weselsekunden kommt Wusel durch das hohe Gras gerannt. Er ist ganz außer Atem und als er Wasel erreicht, bleibt er stehen, stützt die Hände auf die Knie und schnappt erst einmal eine Weile nach Luft.

„Was ist denn los?“, fragt Wasel.
„Wasel… Wasel… Wasel…“, stottert Wusel und zeigt mit zitternden Fingern hinter sich.
„Ja, so heiße ich“, sagt Wasel verwundert. „Aber was ist denn nun?“
„Wasel… Wasel… Waseline! Am … am … am See!“
„Ach, Waseline meinst du“, sagt Wasel. „Aber nun beruhige dich doch erst einmal.“
Wusel atmet dreimal tief ein und aus. Es hört sich an wie ein kleiner Wind. Besser gesagt, wie drei kleine Winde. „Waseline ist in Gefahr! Am See. Der Frosch!“
Jetzt versteht Wasel. Ohne zu zögern macht er sich auf den Weg und läuft zum See. Wusel kann ihm kaum folgen, weil er schon so aus der Puste ist. Und weil Wasel wirklich schnell rennt. Wie ein kleiner Sturmwind fegt er durch die Wiese, vorbei am Haus der Frau Maus, am Bach entlang, quer durch das Dorf der kleinen Feen.

Als Wasel am See ankommt, ist von Wusel nichts mehr zu sehen. Dafür sieht er Wiesel, der in seiner Weselbadehose hinter einem Gebüsch steht und zittert. Und dann ist da noch Herr Frosch.

Herr Frosch hüpft aufgeregt vor dem Schilfgras hin und her, bleibt einen Moment sitzen, quakt laut und böse und hüpft wieder hin und her. Nur Waseline kann Wasel nicht entdecken. Hat sie Herr Frosch etwa gefressen?

Aber dann hört Wasel Waseline schimpfen. Noch lauter als der Frosch quakt. Wasel sucht und sucht, bis er sie endlich entdeckt. Waseline sitzt ganz oben auf einem Schilfhalm und schimpft auf den Frosch. Waseline ist leicht wie eine Feder, zumindest denkt sich Wasel das. Dennoch biegt sich der Schilfhalm unter ihrem Gewicht gefährlich dem Boden entgegen. Es ist eben nur ein dünner Schilfhalm.

Jetzt bleibt Herr Frosch wieder sitzen, direkt unter Waselines Halm. Er quakt und seine Zunge fährt heraus, so schnell, dass Wasel sie kaum sehen kann. Sie ist lang, die Zunge, doch nicht lang genug. Waseline schimpft noch immer auf ihrem Halm und Herr Frosch springt wieder hin und her.

Keuchend kommt Wusel angelaufen. Er ist noch immer ganz außer Atem. Oder schon wieder.
„Was ist passiert?“, fragt ihn Wasel, als Wusel sich ein wenig beruhigt hat.
„Waseline und Wiesel haben Ball gespielt“, erklärt Wusel. „Herr Frosch kam ans Ufer, um sich zu sonnen. Da hat Waseline ihn mit dem Ball mit voller Wucht am Rücken getroffen. Genau auf seinen Mückenstich.“

Jetzt erkennt Wasel, dass Herr Frosch nicht nur aus Wut hin und her springt. Sein Rücken, der eigentlich grün sein müsste, ist rot und blau angelaufen. Seine großen Froschaugen sind feucht und eine dicke Träne kullert ihm über die grüne Wange. Herr Frosch hat große Schmerzen.

Auch Waseline kann ihre Tränen nicht mehr unterdrücken. Sie hat doch ein bisschen Angst vor dem ärgerlichen Frosch und will endlich von dem Schilfhalm herunter. Wiesel zittert immer noch hinter dem Gebüsch.

Doch Wasel hat eine Idee. „Herr Frosch!“, ruft er laut. „Kann ich Sie kurz sprechen?“
Herr Frosch hört auf zu hüpfen und dreht sich um. „Noch so ein Knirps“, murrt er und ärgert sich immer noch.
„Wollen Sie nicht Ihre Schmerzen loswerden?“, fragt Wasel schnell.
„Natürlich“, quakt Herr Frosch.
„Wenn Waseline sich bei Ihnen entschuldigt und ich Ihnen Ihre Schmerzen nehme, lassen Sie Waseline dann in Ruhe?“, fragt Wasel weiter.
„Wie soll das gehen?“, fragt Herr Frosch. Er ist schon ein bisschen weniger ärgerlich.
Wasel kramt in der Tasche seiner Weselhose und holt die Weselsalbe hervor, die ihm seine Mutti immer mitgibt. „Meine Wundersalbe wird Ihnen helfen“, sagt Wasel und hofft, dass er Recht behält.
Langsam kommt Herr Frosch näher und schaut auf die Salbe in Wasels Hand.
„Drehen Sie sich um“, sagt Wasel mit fester Stimme. Dann nimmt er ein bisschen von der Salbe und streicht es vorsichtig auf den Rücken des Herrn Frosch.
„Mhhhhhmmmmm“, macht Herr Frosch. „Das kühlt aber schön.“

Langsam klettert Waseline von ihrem Schilfhalm.
Wasel hört auf, die Salbe zu verreiben. „Sind Sie einverstanden, Herr Frosch?“
„Ja, ja“, sagt Herr Frosch. „Aber hör nicht auf.“
Wasel macht weiter und auch Wusel kommt dazu. Schließlich gesellt sich auch Waseline zu ihnen und sie reiben zu dritt die Salbe auf den wunden Rücken des Herrn Frosch.

Als sie fertig sind, quakt Herr Frosch zufrieden. Waseline entschuldigt sich bei ihm und bedankt sich bei Wasel. „Mein Retter!“, sagt sie zu ihm.

Dann verabschieden sich die drei von Herrn Frosch und gehen gemeinsam zurück nach Weseln. Nur Wiesel steht noch immer hinter dem Gebüsch. Ob er noch zittert? Nun, darauf haben unsere drei Wesel jetzt gar nicht mehr geachtet.

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Wusel 4

Illustration: Kristina Ruprecht