„Bereit zum Angriff, Wingcows?“
„Immer bereit!“
„Könntest du mir ein Beispiel geben?“, fragte er, indem er gleich einem Fuchs, den der Duft lockt, die Nähe jedoch verschreckt, nach ihrer Hand griff, um dann doch nur, den Blick gesenkt, wie ein Grashalm über die Spitzen ihrer Finger zu streichen.
Sie ließ es geschehen, sah dabei aus dem Fenster und wähnte sich auf der Wiese dort, den leichten Wind im Haar, ein gelber Sonnenstrahl, der ihr die Nase kitzelte, ein grüner Halm, der über ihre Fingerspitzen strich. „Ja“, sagte sie, ohne den Blick von dort, wo ihre Gedanken weilten, abzuwenden.
Und sie griff seine Hand, legte sich, führte das scheue Tier, ihm ein Beispiel zu geben. Ein Beispiel, das sie in ihre Träume führte, die Augen geschlossen, den Genuss nicht zu stören, den er zaghaft suchte, ihr zu verschaffen, da er lernte und gleich dem Grashalm wuchs, ihr ein leises Prickeln zu streicheln auf die Haut.
Er richtet sich auf und lauscht genauer. Die Stimme kennt er doch. Und sie kommt genau auf ihn zu. Er muss nur warten.
Nach allerhöchstens zehn Weselsekunden kommt Wusel durch das hohe Gras gerannt. Er ist ganz außer Atem und als er Wasel erreicht, bleibt er stehen, stützt die Hände auf die Knie und schnappt erst einmal eine Weile nach Luft.
„Was ist denn los?“, fragt Wasel.
„Wasel… Wasel… Wasel…“, stottert Wusel und zeigt mit zitternden Fingern hinter sich.
„Ja, so heiße ich“, sagt Wasel verwundert. „Aber was ist denn nun?“
„Wasel… Wasel… Waseline! Am … am … am See!“
„Ach, Waseline meinst du“, sagt Wasel. „Aber nun beruhige dich doch erst einmal.“
Wusel atmet dreimal tief ein und aus. Es hört sich an wie ein kleiner Wind. Besser gesagt, wie drei kleine Winde. „Waseline ist in Gefahr! Am See. Der Frosch!“
Jetzt versteht Wasel. Ohne zu zögern macht er sich auf den Weg und läuft zum See. Wusel kann ihm kaum folgen, weil er schon so aus der Puste ist. Und weil Wasel wirklich schnell rennt. Wie ein kleiner Sturmwind fegt er durch die Wiese, vorbei am Haus der Frau Maus, am Bach entlang, quer durch das Dorf der kleinen Feen.
Als Wasel am See ankommt, ist von Wusel nichts mehr zu sehen. Dafür sieht er Wiesel, der in seiner Weselbadehose hinter einem Gebüsch steht und zittert. Und dann ist da noch Herr Frosch.
Herr Frosch hüpft aufgeregt vor dem Schilfgras hin und her, bleibt einen Moment sitzen, quakt laut und böse und hüpft wieder hin und her. Nur Waseline kann Wasel nicht entdecken. Hat sie Herr Frosch etwa gefressen?
Aber dann hört Wasel Waseline schimpfen. Noch lauter als der Frosch quakt. Wasel sucht und sucht, bis er sie endlich entdeckt. Waseline sitzt ganz oben auf einem Schilfhalm und schimpft auf den Frosch. Waseline ist leicht wie eine Feder, zumindest denkt sich Wasel das. Dennoch biegt sich der Schilfhalm unter ihrem Gewicht gefährlich dem Boden entgegen. Es ist eben nur ein dünner Schilfhalm.
Jetzt bleibt Herr Frosch wieder sitzen, direkt unter Waselines Halm. Er quakt und seine Zunge fährt heraus, so schnell, dass Wasel sie kaum sehen kann. Sie ist lang, die Zunge, doch nicht lang genug. Waseline schimpft noch immer auf ihrem Halm und Herr Frosch springt wieder hin und her.
Keuchend kommt Wusel angelaufen. Er ist noch immer ganz außer Atem. Oder schon wieder.
„Was ist passiert?“, fragt ihn Wasel, als Wusel sich ein wenig beruhigt hat.
„Waseline und Wiesel haben Ball gespielt“, erklärt Wusel. „Herr Frosch kam ans Ufer, um sich zu sonnen. Da hat Waseline ihn mit dem Ball mit voller Wucht am Rücken getroffen. Genau auf seinen Mückenstich.“
Jetzt erkennt Wasel, dass Herr Frosch nicht nur aus Wut hin und her springt. Sein Rücken, der eigentlich grün sein müsste, ist rot und blau angelaufen. Seine großen Froschaugen sind feucht und eine dicke Träne kullert ihm über die grüne Wange. Herr Frosch hat große Schmerzen.
Auch Waseline kann ihre Tränen nicht mehr unterdrücken. Sie hat doch ein bisschen Angst vor dem ärgerlichen Frosch und will endlich von dem Schilfhalm herunter. Wiesel zittert immer noch hinter dem Gebüsch.
Doch Wasel hat eine Idee. „Herr Frosch!“, ruft er laut. „Kann ich Sie kurz sprechen?“
Herr Frosch hört auf zu hüpfen und dreht sich um. „Noch so ein Knirps“, murrt er und ärgert sich immer noch.
„Wollen Sie nicht Ihre Schmerzen loswerden?“, fragt Wasel schnell.
„Natürlich“, quakt Herr Frosch.
„Wenn Waseline sich bei Ihnen entschuldigt und ich Ihnen Ihre Schmerzen nehme, lassen Sie Waseline dann in Ruhe?“, fragt Wasel weiter.
„Wie soll das gehen?“, fragt Herr Frosch. Er ist schon ein bisschen weniger ärgerlich.
Wasel kramt in der Tasche seiner Weselhose und holt die Weselsalbe hervor, die ihm seine Mutti immer mitgibt. „Meine Wundersalbe wird Ihnen helfen“, sagt Wasel und hofft, dass er Recht behält.
Langsam kommt Herr Frosch näher und schaut auf die Salbe in Wasels Hand.
„Drehen Sie sich um“, sagt Wasel mit fester Stimme. Dann nimmt er ein bisschen von der Salbe und streicht es vorsichtig auf den Rücken des Herrn Frosch.
„Mhhhhhmmmmm“, macht Herr Frosch. „Das kühlt aber schön.“
Langsam klettert Waseline von ihrem Schilfhalm.
Wasel hört auf, die Salbe zu verreiben. „Sind Sie einverstanden, Herr Frosch?“
„Ja, ja“, sagt Herr Frosch. „Aber hör nicht auf.“
Wasel macht weiter und auch Wusel kommt dazu. Schließlich gesellt sich auch Waseline zu ihnen und sie reiben zu dritt die Salbe auf den wunden Rücken des Herrn Frosch.
Als sie fertig sind, quakt Herr Frosch zufrieden. Waseline entschuldigt sich bei ihm und bedankt sich bei Wasel. „Mein Retter!“, sagt sie zu ihm.
Dann verabschieden sich die drei von Herrn Frosch und gehen gemeinsam zurück nach Weseln. Nur Wiesel steht noch immer hinter dem Gebüsch. Ob er noch zittert? Nun, darauf haben unsere drei Wesel jetzt gar nicht mehr geachtet.
Tilo zögerte noch einen Moment, dann öffnete er vorsichtig die Haustür und spähte hinaus. Alles war still. Natürlich. Er hatte beinahe eine Viertelstunde gewartet, nachdem das Motorengeräusch von Papas Audi verklungen war, wobei er die ganze Zeit in seinem Zimmer auf und ab gegangen war, hin und her überlegt hatte, ob er wirklich auf die Straße gehen sollte. Aber was konnte jetzt noch passieren? Und er wollte unbedingt herausfinden, was das komische Paar in dem alten Lagerhaus getrieben hatte. Hier, am äußersten Ende der Stadt.
Er schaute sich nach allen Seiten um, als er die schmale Straße überquerte. Eine leichte morgendliche Brise wehte den Duft und die Stille des Waldes herüber. Er wählte die rechte der beiden Spurrillen, die den Weg zum Lagerhaus darstellten und durch die ungemähte Wiese führten. Von der Straße waren es etwa hundert Meter. Vielleicht hundertfünfzig. Aber während er sich von den beiden Straßenlaternen fortbewegte, überkam ihn mehr und mehr das Gefühl, er breche in ein fremdes Universum auf. Erst ein Mal war er diesen Weg gegangen, seit sie hierhergezogen waren. Im Licht der Nachmittagssonne. Bis zur Hälfte des Wegs hatte er sich getraut. Jetzt pochte ihm das Herz noch mehr als damals.
Aber dieses eine Mal würde er auch im Real Life ein Abenteuer bestehen! Er wagte einen Blick auf sein Ziel. Er konnte sich selbst nicht erklären, was an diesem Gebäude ihm so viel Furcht einflößte. Es war nur ein hässlicher großer Kasten. An der Ostseite zu einem großen Teil eingestürzt. Die Außenwände unregelmäßig mit rankenden Pflanzen bewachsen. Rückeroberung durch die Natur. Vielleicht war es dieser Eindruck von Wildheit. Vielleicht aber auch die Erzählungen von dem alten Herrn Faun aus der Nachbarwohnung. Als Tilo ihn über die Ruine ausgefragt hatte, hatten einige Sätze seine Fantasie besonders angeregt.
„Das alte Ding steht schon seit vielen, vielen Jahren dort und wird wohl immer da stehen bleiben. Schon in meiner frühen Kindheit, vor fast siebzig Jahren, stand es leer und stürzte an der Ostseite in sich zusammen. Einige Verfolgte hatten sich dort versteckt. Aber kurz vor dem Ende des Krieges fand man sie.“
„Was hat man mit ihnen gemacht?“, fragte Tilo, der an die Schwarzen Reiter aus Mittelerde denken musste.
„Es ist besser, das nicht zu wissen, glaube ich. Jedenfalls sollte es direkt nach dem Krieg abgerissen werden. Zum ersten Mal. Und danach immer wieder. Jedes mal hieß es, nun sei es endlich so weit. Und jedes Mal kam im letzten Moment irgendetwas dazwischen. Und so wird es wohl bis ans Ende der Zeit gehen. Denn zwar scheint es, als müsste das Ding sowieso bald in sich zusammenfallen, aber ich bin mir sicher, dass es sogar einem Orkan widerstehen würde.“
Tilo blieb stehen. Noch zwanzig Meter. Er sollte umkehren. Was konnte es da schon Interessantes geben? Nur weil da eine Agentin, die das Auto seines Vaters gestohlen hatte, mit irgendeinem Angsthasen hergekommen war?
Er drehte um. Setzte einen Fuß vor den anderen, immer schneller, bis er zu laufen begann. In seinem Kopf wandelte sich die Agentin zur Amazonenkriegerin. Dazu bedurfte es nicht viel. Ein Schwert und ein bisschen freizügigere Kleidung. Sie stand auf einem großen Felsen und der Wind spielte in ihrem roten Haar. Mit ihren grünen Augen visierte sie ihn. Tilo hatte ihre Augenfarbe aus der Entfernung natürlich nicht erkennen können, aber er war sich sicher, dass sie grün waren. Auf ihren Lippen zeigte sich ein Lächeln. Sie lächelte ihn an. Wollte sie ihm Mut zusprechen? Oder …? Er ahnte, wie schnell aus dem warmen Lächeln ein kaltes Lachen werden konnte.
Als hätte jemand die Zügel gezogen, kam Tilo zum Stehen.