Die Aliens

Die Aliens

© Raisa Kanareva

Es war mir gar nicht recht, dass Frau Hostilis mich wieder einmal vor der Holhalle abgefangen hatte. Sie war alles andere als eine meiner liebsten Nachbarinnen, schaffte es aber beinah täglich, mich irgendwo abzupassen und in eines ihrer so geliebten Gespräche unter Müttern hineinzuziehen. Ich wollte nach dem Einkaufen so schnell wie möglich nach Hause, aber die Höflichkeit gebot es, wenigstens einige Minuten Interesse zu heucheln.

Allein, es fiel mir nicht leicht und mein Blick schweifte zu Regina. Wenigstens musste sie sich nicht langweilen, denn sie verstand sich gut mit dem Sohn der Nachbarin, der ich nun wieder meine Aufmerksamkeit schenkte.

Doch nur kurz darauf wurde ich wieder abgelenkt. Die Kinder schienen etwas bemerkt zu haben und bewegten sich vorsichtig, aber zielstrebig darauf zu. Nur am Rande wunderte ich mich, wie Frau Hostilis ihrem Paullus so unverwandt den Rücken zukehren konnte, wo doch ihr Lieblingsthema Verantwortung war.

Was war das, was die Neugier der Kinder so vollständig auf sich zog, ihnen aber doch nicht ganz geheuer zu sein schien? Sie bewegten sich auf eine Gasse zu. Regina zog ein Stück des süßen Panis aus der Tasche und hielt ihn vor sich, als wolle sie ein Tier damit locken. Es schien zu wirken. Etwas kroch auf die Kinder zu. Noch langsamer und noch vorsichtiger als Regina und Paullus.

Einen Moment lang fühlte ich mich wie versteinert. Konnte nur beobachten, wie der Abstand zwischen Regina und den Aliens schmolz. Dann, einem Impuls folgend, wollte ich laufen und schreien …

Aber warum eigentlich? Die Aliens waren selbst noch Kinder, kaum älter als ihre Gegenüber. Dass sie sich aus ihren Ghettos bis hier ins noble Zentrum vorgewagt hatten, war noch erstaunlicher, als dass sie dabei bisher offenbar nicht erwischt worden waren. Selbst aus der Entfernung sahen sie ausgemergelt und hungrig aus. Und wohl auch dreckig. Wenn Regina jetzt so offen auf sie zuging, lag das daran, dass ich selbst ihr immer eingetrichtert hatte, man solle sich auch dem Fremden gegenüber aufgeschlossen zeigen. Was immer auch die öffentliche Meinung besagte, ich glaubte nicht, dass von diesen elenden Geschöpfen eine Gefahr ausgehen könnte. Waren doch eigentlich wir die, unter denen sie zu leiden hatten.

Es blieb mehr als ein wenig Unsicherheit, als ich mich wieder Frau Hostilis zuwandte. Zu spät! Selbst sie hatte inzwischen bemerkt, dass etwas nicht stimmte. Erstaunlich schnell fuhr sie herum und noch schneller erfasste sie die Situation. Ein Aufschrei und schon stürmte sie auf die Gasse zu. „Kommt da weg! Weg da! Vertreib doch jemand dieses Gesindel!“
Ich war mir sicher, sie hätte den Aliens ihre traurigen Augen ausgekratzt oder ihnen gleich die Köpfe abgerissen, hätte sie sie zu fassen bekommen.

„Warum mögen die Leute die Aliens nicht?“
„Weil sie Fremde sind. Sie kommen von einem anderen Planeten.“
Regina überlegte kurz, während sie mir beim Kochen zusah. „Warum sind sie denn hergekommen?“
„Sie suchen hier Asyl.“ Ich sah ihr an, dass sie mich nicht verstand. „Sie kamen als Gäste und hoffen nun, für immer hier leben zu können. Leider gefällt das vielen nicht.“
„Warum gehen die Aliens dann nicht zurück? Ist es hier denn so viel schöner als bei ihnen zu Hause?“
Ich sah aus dem Fenster auf die Betonwüste der Stadt. Am Horizont sah ich die kahlen Berge. Es schien als stießen sie mit dem schmutzig-gelben Himmel zusammen, wo die kraftlose Sonne ihn bluten ließ. Eine Sonne, die schon bessere Zeiten gesehen hatte, wie ich aus den Geschichtsbüchern meines Urgroßvaters wusste. Mein Vater hatte sie mir einst in einer verschwörerischen Zeremonie vermacht. Sie berichteten von einer bunten Welt. Bunt von dem Leben auch außerhalb der Städte. Wie gern hätte ich Regina in eine solche Welt geboren.

Ich sah sie lange an. „Sie können nicht zurück. Sie haben ihren Planeten zugrunde gerichtet.“ Wieder schien sie nicht zu verstehen. „Ja, mein Schatz, sie haben ihre Heimat zerstört. Sie nannten sie Erde.“

Stromer (Teil 1)

Stromer

Als ich mich umdrehte, wurde das ungute Gefühl zur Gewissheit: Man verfolgte mich. Ich ging schneller, während mir klar wurde, wie aussichtslos meine Lage war. Den Weg zurück nach Bree versperrten meine Verfolger, die sich jetzt, da ich den Wald hinter mir gelassen hatte, gar nicht die Mühe gaben, nicht aufzufallen. Um mich herum erstreckte sich eine Ebene, auf der kein Entkommen möglich war. Genauso gut konnte ich weiter der Straße folgen, meinen Schritt beschleunigen und hoffen, dass die Männer hinter mir nur zufällig denselben Weg hatten wie ich.

Diese Hoffnung erschien mir beinahe töricht. Nicht umsonst war ich am Morgen in aller Frühe aufgebrochen, nachdem mir meine Dummheit am Vorabend bewusst geworden war. Noch immer ärgerte ich mich über mich selbst. All meine Vorsicht hatte ich abgelegt, ausgelöst durch zu viel Bier und Wein im Gasthaus in Bree. Auch dem eigenen Stolz und der Eitelkeit gab ich die Schuld. Eigenschaften, die mir bis dahin an mir selbst weitgehend unbekannt gewesen waren. Doch wenn ein Mann ins Ungewisse aufbricht, kann eine plötzliche Wende zum Guten, ein unvorhergesehenes Glück, all seine Prinzipien durchkreuzen.

Vor den Unruhen in meiner Heimat war ich geflohen, den Grünweg hinauf nach Norden. Ein armer Mann, der alles aufgegeben hatte, ohne zu wissen, ob er je zurückkehren oder anderswo heimisch werden könnte. Nach vielen einsamen Wegstunden fand ich bei den Hügelgräbern auf den Höhen westlich der Straße einen Zwerg in Not, der zum Dank für meine Hilfe den Schatz mit mir teilte, der ihn erst in die missliche Lage gebracht hatte. Ein versöhnliches Ende für ein Ereignis, das ich schleunigst vergessen wollte.

Umso mehr dürstete es mich nach Gesellschaft, Bier und Gesang, die ich noch am selben Abend im Gasthaus in Bree finden sollte. Zu viel von allem, denn statt zu vergessen, begann ich zu prahlen und ließ auch die Schätze nicht aus, die mein Lohn gewesen waren.

Wie konnte nur mein Misstrauen so bald hinter den Nebeln des Rausches verschwinden? Und das obwohl mir bei meiner Ankunft in der Wirtsstube gleich mehrere der Anwesenden nicht geheuer vorgekommen waren. Allen voran ein großer Mann, der in einer dunklen Ecke saß, die langen Beine in hohen Stiefeln ausgestreckt, das Gesicht fast vollständig im Schatten seiner Kapuze verborgen, die zu einem fleckigen Mantel aus dunkelgrünem Stoff gehörte.

Zwar konnte ich sie aufgrund der Entfernung nicht unterscheiden, doch ich war mir beinahe sicher, dass dieser dunkle Geselle meine Verfolger anführte. Herr Butterblume, der Wirt des Gasthauses, hatte mir auf meine Nachfrage sogar seinen Namen verraten. „Seinen richtigen Namen habe ich nie gehört. Wir hier nennen ihn Stromer. Er ist einer vom wandernden Volk – Waldläufer nennen wir sie. An Eurer Stelle würde ich mich von ihm fernhalten.“