Absicht

© CFalk / pixelio.de

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„Es war keine Absicht“, flüsterte sie.
„Das ist mir egal!“ Er sagte es leise, drohend.
„Bitte!“
„Leck mich!“
Bernd ging langsam auf sie zu. Drängte sie in die Ecke des Schlafzimmers. Er war ihr schon ganz nah. Anne roch seine Fahne. Selbst jetzt, da er sich von ihr wegdrehte und aus dem Fenster blickte. Vielleicht hatte sie Glück, und er würde sie doch nicht bestrafen. „Komm vom Fenster weg!“
Sie wollte gehorchen, aber er machte ihr keinen Platz. Sollte sie über das Bett steigen? Er packte ihren Arm, stieß sie aufs Bett. Sie rollte sich ab, die Kissen versprachen für einen Moment falsche Weichheit, falsche Geborgenheit, bis sie in der anderen Ecke des Raumes wieder zum Stehen kam.

Ihre Blicke folgten ihm, wie er langsam das Bett umrundete, ein Grinsen im Gesicht. Als sie die Panik spürte, die einem Brechreiz gleich in ihr hochkochte, ärgerte sie sich. Wieder einmal. Warum stumpfte sie nicht ab? Erst, wenn die Schmerzen kamen, würde sie sich ergeben.

Er war abgelenkt, suchte nach einem Schlagwerkzeug, fand keines.
Vielleicht könnte sie doch noch an ihm vorbei … „Nein!“
Er hatte nach dem Wecker gegriffen.
„Nicht den Wecker!“
Wenn er bis eben noch überlegt haben sollte, war er sich jetzt sicher. „Halt’s Maul!“ Er nahm das pinkfarbene Teil in die andere Hand. Die rechte.
„Es war doch keine Absicht!“ Sie spürte Tränen. Zum ersten Mal seit vielen, vielen Jahren.

Es war ihr Wecker. Schon von Kindertagen an. Ihre Mutter hatte ihn ihr geschenkt. Oft hatte sie die kleine Minnie Mouse auf dem Ziffernblatt betrachtet. Bis heute. Und bis heute weckte er sie verlässlich. Jeden Tag. Leise genug, dass Bernd nicht aufwachte.

Die Plastikscheibe brach an ihrer Schläfe. Sie hatte die Augen geschlossen, und doch sah sie im Fallen Minnies verbeultes Gesicht. Sie hörte sie schreien. Musste schreckliche Schmerzen haben, das kleine Ding.
Noch immer fiel sie. Suchte Halt an der Nachttischlampe. Riss sie mit sich.
Bernd warf Minnie in die Ecke. Ihr Schreien endete mit einem leisen Klingeln. Bernd schaute sich noch einmal um. Dann fummelte er an der Gürtelschnalle.
Sie sah ihm dabei zu. Lange. Wie durch einen Nebelschleier. Während sich ihre Finger krümmten. Aus ihrer Hand eine Faust machten. Sich dann kurz entspannten, um nach der Nachttischlampe zu tasten.

Es war keine Absicht.

Die Aliens

Die Aliens

© Raisa Kanareva

Es war mir gar nicht recht, dass Frau Hostilis mich wieder einmal vor der Holhalle abgefangen hatte. Sie war alles andere als eine meiner liebsten Nachbarinnen, schaffte es aber beinah täglich, mich irgendwo abzupassen und in eines ihrer so geliebten Gespräche unter Müttern hineinzuziehen. Ich wollte nach dem Einkaufen so schnell wie möglich nach Hause, aber die Höflichkeit gebot es, wenigstens einige Minuten Interesse zu heucheln.

Allein, es fiel mir nicht leicht und mein Blick schweifte zu Regina. Wenigstens musste sie sich nicht langweilen, denn sie verstand sich gut mit dem Sohn der Nachbarin, der ich nun wieder meine Aufmerksamkeit schenkte.

Doch nur kurz darauf wurde ich wieder abgelenkt. Die Kinder schienen etwas bemerkt zu haben und bewegten sich vorsichtig, aber zielstrebig darauf zu. Nur am Rande wunderte ich mich, wie Frau Hostilis ihrem Paullus so unverwandt den Rücken zukehren konnte, wo doch ihr Lieblingsthema Verantwortung war.

Was war das, was die Neugier der Kinder so vollständig auf sich zog, ihnen aber doch nicht ganz geheuer zu sein schien? Sie bewegten sich auf eine Gasse zu. Regina zog ein Stück des süßen Panis aus der Tasche und hielt ihn vor sich, als wolle sie ein Tier damit locken. Es schien zu wirken. Etwas kroch auf die Kinder zu. Noch langsamer und noch vorsichtiger als Regina und Paullus.

Einen Moment lang fühlte ich mich wie versteinert. Konnte nur beobachten, wie der Abstand zwischen Regina und den Aliens schmolz. Dann, einem Impuls folgend, wollte ich laufen und schreien …

Aber warum eigentlich? Die Aliens waren selbst noch Kinder, kaum älter als ihre Gegenüber. Dass sie sich aus ihren Ghettos bis hier ins noble Zentrum vorgewagt hatten, war noch erstaunlicher, als dass sie dabei bisher offenbar nicht erwischt worden waren. Selbst aus der Entfernung sahen sie ausgemergelt und hungrig aus. Und wohl auch dreckig. Wenn Regina jetzt so offen auf sie zuging, lag das daran, dass ich selbst ihr immer eingetrichtert hatte, man solle sich auch dem Fremden gegenüber aufgeschlossen zeigen. Was immer auch die öffentliche Meinung besagte, ich glaubte nicht, dass von diesen elenden Geschöpfen eine Gefahr ausgehen könnte. Waren doch eigentlich wir die, unter denen sie zu leiden hatten.

Es blieb mehr als ein wenig Unsicherheit, als ich mich wieder Frau Hostilis zuwandte. Zu spät! Selbst sie hatte inzwischen bemerkt, dass etwas nicht stimmte. Erstaunlich schnell fuhr sie herum und noch schneller erfasste sie die Situation. Ein Aufschrei und schon stürmte sie auf die Gasse zu. „Kommt da weg! Weg da! Vertreib doch jemand dieses Gesindel!“
Ich war mir sicher, sie hätte den Aliens ihre traurigen Augen ausgekratzt oder ihnen gleich die Köpfe abgerissen, hätte sie sie zu fassen bekommen.

„Warum mögen die Leute die Aliens nicht?“
„Weil sie Fremde sind. Sie kommen von einem anderen Planeten.“
Regina überlegte kurz, während sie mir beim Kochen zusah. „Warum sind sie denn hergekommen?“
„Sie suchen hier Asyl.“ Ich sah ihr an, dass sie mich nicht verstand. „Sie kamen als Gäste und hoffen nun, für immer hier leben zu können. Leider gefällt das vielen nicht.“
„Warum gehen die Aliens dann nicht zurück? Ist es hier denn so viel schöner als bei ihnen zu Hause?“
Ich sah aus dem Fenster auf die Betonwüste der Stadt. Am Horizont sah ich die kahlen Berge. Es schien als stießen sie mit dem schmutzig-gelben Himmel zusammen, wo die kraftlose Sonne ihn bluten ließ. Eine Sonne, die schon bessere Zeiten gesehen hatte, wie ich aus den Geschichtsbüchern meines Urgroßvaters wusste. Mein Vater hatte sie mir einst in einer verschwörerischen Zeremonie vermacht. Sie berichteten von einer bunten Welt. Bunt von dem Leben auch außerhalb der Städte. Wie gern hätte ich Regina in eine solche Welt geboren.

Ich sah sie lange an. „Sie können nicht zurück. Sie haben ihren Planeten zugrunde gerichtet.“ Wieder schien sie nicht zu verstehen. „Ja, mein Schatz, sie haben ihre Heimat zerstört. Sie nannten sie Erde.“

Der Schlitzer

Der Schlitzer

Der Schlitzer hatte sich gerade mit seinem Schlachtermesser vor der Toilettentür aufgebaut, als er durch die Werbung unterbrochen wurde. Susi entspannte sich und seufzte erleichtert. Sie musste selbst mal aufs Klo. Doch kaum aufgestanden, klingelte das Telefon.

Tine wollte quatschen.
„Tut mir leid, ich will gerade für kleine Königskinder.“
„Dann ruf einfach zurück.“
„Heute kommt doch der Schlitzer im Fernsehen.“
„Du guckst den Schlitzer? Obwohl du heute ganz allein zu Hause bist?“
„Na und? Ist doch nur ein Film.“

Bescheuert! So gern sie Tine hatte, manchmal benahm sie sich wie ein kleines Kind. Susi betätigte den Lichtschalter im Bad. Sie öffnete den Klodeckel und zögerte. Schließlich drehte sie den Schlüssel im Schloss. Bescheuert!

Sie schaute auf die Uhr. Keinesfalls wollte sie die Werbepause überziehen. Beim Griff zum Papier zuckte sie zurück. Ein kratzendes Geräusch aus dem Flur! Sie lauschte angestrengt. Nichts mehr. Kam vielleicht aus der Nachbarw…

Mit dem Papier in der Hand starrte sie auf den Schlüssel, der sich langsam im Uhrzeigersinn drehte.

Aus dem roten Nebel

© Ichweißes

© Ichweißes

Theo schaute in die Röhre. Abgehängt!
„Los, weiter!“
„Nur einen Moment abhängen.“ Er rutschte gleich neben dem Loch, aus dem er soeben gekrochen war, den Rücken an die Höhlenwand gelehnt, auf seinen Allerwertesten.
Dora stieß ihn mit dem Fuß an. „Glaubst du, wir sind hier sicher?“
Ihr Tonfall signalisierte, dass es sie nicht interessierte, was er glaubte. Aber er konnte nicht mehr. „Ich habe gerade so durch den Gang gepasst. Kein erwachsener Mann kommt da durch!“
„Du bist fett!“
Ihre Antwort versetzte ihm einen Stich. Es war nichts Neues, dass Dora ihn derart beleidigte. Aber hier! In dieser Situation! Zu zweit in einem riesigen Höhlensystem. Und in Lebensgefahr! Dabei war es ihre Schuld! „Hörst du etwas? Nein. Sie können uns nicht folgen.“
„Ich gehe! Du kannst hier gern verschimmeln. Einen Klops wie dich brauche ich sowieso nicht!“ Dora drehte sich um und verschwand in dem seltsamen, rot leuchtenden Nebel, der die Höhle ausfüllte.
„Warte!“ Theo hechelte ihr hinterher. Nichts konnte schlimmer sein, als hier allein zu bleiben. Auch war der Stolz, sie begleiten zu dürfen, noch nicht ganz verklungen. Schließlich hatte er seit Jahren davon geträumt. Wenn er dabei auch nicht an einen dunklen Ort wie diesen gedacht hatte, der obendrein vollgestopft war mit finsteren Gestalten, die ihnen an den Kragen wollten.

Sie wartete nicht und er hatte alle Mühe, sie einzuholen. „Wo willst du denn hin?“
„Hauptsache raus hier.“
„Was glaubst du, was es mit diesem Nebel auf sich hat?“
„Woher soll ich das wissen?“
Theo schob die Mütze zurück und wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn. Doch sein Pullover war längst durchnässt. Das Weiß hatte einen rosafarbenen Ton angenommen. Wenigstens war es kein Schweiß. Nicht nur, jedenfalls. „Ist doch echt merkwürdiges Zeug. Wird immer dichter und …“
Unvermittelt blieb Dora stehen, puffte ihm in die Seite und zeigte nach vorn. Die Höhle war schon zu Ende. Sie standen direkt vor einer massiven Wand.
„Eine Sackgasse!“ Mit einem Schlag fühlte sich Theo noch unwohler als zuvor. Der enge Röhrengang hatte sich nicht als die Rettung sondern als Falle entpuppt.

Dora ging ein paar Schritte zurück und schaute nach oben. „Sieh mal!“
Er tat es ihr gleich. Zuerst sah er nur den roten Nebel, doch die Schwaden zogen sich auseinander, als wollten sie, dass er freie Sicht hatte. Auf dem Massiv zeichneten sich die Konturen eines riesigen Körpers ab. Sie waren bis hierher schon einigen solcher Figuren begegnet. Aber diese war um ein Vielfaches größer. Beine wie Säulen ließen sich nur erahnen. Klauenbewehrte Pranken waren zu Fäusten geballt und schienen die gesamte Felswand unter Spannung zu setzen. Der muskulöse Oberkörper ragte ein Stück aus dem Stein heraus, als wolle sich das Monstrum aus dem ewigen Gefängnis befreien. Von den breiten Schultern blickte ein Schädel herab, der an einen übergroßen Menschenaffen erinnerte. Doch das breite Maul war mit Raubtierzähnen bestückt und zwei meterlange Hörner schienen dem Wesen aus dem Nacken zu wachsen.

„Sieht aus, als hätten sie das Ding mitten in der Bewegung eingefroren.“
„Meinst du, das war mal lebendig?“ Theos Stimme überschlug sich.
Dora lachte. „Idiot!“ Sie schaute sich um. „Es muss doch einen zweiten Ausgang geben. Los, komm mit!“

Sie wandten sich nach rechts und begannen die Seitenwand abzusuchen. Der Nebel hatte seine Position verändert. Er schien sich dorthin verzogen zu haben, wo sie aus dem Gang gekommen waren, genau gegenüber von dem Affenwesen. Doch die bessere Sicht half ihnen nicht, ihre Suche blieb erfolglos.

„Uns bleibt nur der Weg zurück!“, bestimmte Dora.
„Und diese Typen?“
„Wir müssen eben hoffen, dass sie aufgeben. Vielleicht sind sie ja schon weg.“ Zielstrebig ging sie auf die wabernde rote Masse zu, die sich dort auftürmte, wo der Gang sein musste.

Ein Donnerschlag!
Theo schrie auf. Er drehte sich um, starrte das Steinungetüm an. Hatte sich die Figur bewegt?
„Sie sprengen den Gang!“, hörte er Dora aus weiter Entfernung rufen. Gleich darauf brannte seine Wange von einer Ohrfeige. „Du guckst in die falsche Richtung, du Trottel!“
Langsam verstand er. Er entspannte sich ein bisschen, stieß die angehaltene Atemluft aus, schielte zu Dora und rieb sich das schmerzende Gesicht. Mann, war das peinlich. Er versuchte seine Verlegenheit mit einem Lächeln zu überspielen.
„Was grinst du denn so blöd? Ist dir klar, was das bedeutet?“
Jetzt begriff er vollständig. Der Nebel vor dem Eingang mischte sich mit schwarzem Staub von der Sprengung. Er hatte den Geruch von Silvesterknallern in der Nase. „Was sollen wir denn bloß tun?“
Doras Blick tastete noch einmal die gesamte Höhle ab. Schließlich blieb er an Theo hängen. Sie zuckte mit den Schultern.
„Aber …“ Wie konnte sie so ruhig bleiben? „Wir …“
Eine zweite Explosion unterbrach ihn. Bildete er sich das ein oder klang das schon viel näher?
„Komm!“

Dieses Mal brauchte er keine weitere Aufforderung. Vielleicht wusste sie doch eine Lösung. Aber Dora lief nur zur gegenüberliegenden Wand und blieb dort stehen.
„Das war alles?“, schrie er sie an.
„Wie bekloppt bist du eigentlich? Es ist vorbei! Wir können nur abwarten.“
„Bekloppt? Mehr fällt dir dazu nicht ein? Weißt du, ich wollte gar nicht mit auf diese blöde Klassenfahrt. Das macht nämlich wenig Spaß als Klassenclown. Aber ich dachte, das kann ich ertragen, weil es schön ist, in deiner Nähe zu sein. Und das dachte ich auch, als du die idiotische Idee hattest, heimlich in die verbotenen Höhlen zu gehen. Deshalb war ich der Einzige, der den Mut hatte, dich zu begleiten. Ich hab gehofft, du würdest mich endlich mit anderen Augen sehen. Und wo hast du uns jetzt hingeführt?“
„Konnte ich wissen, dass hier irgendwelche miesen Typen irgendwas noch Mieseres aushecken? Außerdem hättest du ja nicht mitkommen müssen. Das war ja wohl ganz allein deine Entscheidung.“
Sie hatte recht. Daran gab es nichts zu rütteln. Aber er war sauer. Richtig sauer! Vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben. „Du …“
Sie unterbrach ihn, indem sie drohend den Finger erhob. Dann drehte sie sich weg und tippte sich mit demselben Finger an die Stirn. „Mit anderen Augen sehen. Was bildet der sich eigentlich ein?“

Ein Zittern durchfuhr die Höhle. Theo starrte sofort wieder zu dem Affenkopf. Der hatte das Maul aufgerissen. In den Wänden dröhnte es und das mächtige Steinwesen begann, rot zu leuchten.

Theo bemerkte erst, dass er sich rückwärts bewegt hatte, als er mit dem Rücken gegen die Eingangswand stieß. Dora war neben ihm. Er griff nach ihrer Hand. Für einen Moment fürchtete er, sie würde ihm dafür eine scheuern, dann beobachtete er, wie sich der Teufels-King-Kong aus dem Stein löste. Das ging so schnell, dass Theo im Nachhinein übel wurde, als er daran dachte, wie sie vor nur wenigen Minuten zu Füßen dieses Ungeheuers herumgewandert waren.

Jetzt schien es sie erst einmal nicht weiter zu beachten. Es streckte sich, schüttelte erst das linke, dann das rechte Bein und absolvierte ein paar ungelenke Kniebeugen.

„Wir sollten uns vielleicht verstecken“, flüsterte er, bewegte sich aber kein Stück.
„Wo denn, du Witzbold?“
„Vielleicht im Gang.“
Eine dritte Sprengung ertönte. Man hörte das Geröll poltern.
„Zu spät“, sagte Dora.
Der Affenriese schaute zu ihnen herüber. Seinen Sport hatte er offenbar beendet und kam jetzt auf sie zu. Er sah furchterregend aus. Warum brüllt er nicht? Theo konnte nicht länger über diese Frage nachdenken, denn für sein Gegenüber entsprach die Entfernung zwischen ihnen nur etwa drei Schrittlängen.

Jetzt war es auch egal. Er trat vor. „Lass sie in Ruhe! Ich dulde nicht, dass du ihr etwas tust!“
Der Affe stutzte und schaute ihn verwundert an. Theos Nacken begann zu schmerzen. Aber er blieb stehen, wo er war. Der Affe beugte sich vor und sog die Luft in die riesigen Nasenlöcher. Theo kam sich vor wie in einem Sturm. Er verlor beinahe den Boden unter den Füßen, während sich seine Mütze in Richtung der Affennüstern verabschiedete. Er mochte sie sowieso nicht. Der Affe atmete wieder aus und Theo landete unsanft auf dem Hintern. Seine Mütze fiel ihm vor die Füße. Grund genug, seine Strategie zu überdenken. „Friss mich! An ihr ist doch nichts dran.“
Wieder beugte sich das Riesenvieh vor. Diesmal allerdings streckte es seine Pranke aus und hob sie in die luftigen Regionen seiner Schnauze. Mit dem Finger deutete er an, Theo solle die Klappe halten, zeigte auf den Gang, aus dem man jetzt die Geräusche von Schaufeln und Hacken hörte, und machte schließlich eine Bewegung, die Theo als „Kusch, kusch!“ interpretierte.

Theo hielt dem durchdringenden Blick von Dora nicht stand. „Okay, okay, ich hab mich lächerlich verhalten.“
„Allerdings!“ Dora lachte. „Eine große Hilfe wärst du mir wohl nicht gewesen, du Held.“ Sie machte eine Pause. „Aber keine Sorge, ich war trotzdem ziemlich beeindruckt.“
Theo schaute auf.
Sie lächelte. Dann drehte sie sich zu dem Affen, der vor dem Gang saß und auf die Eindringlinge wartete. „Tja, dann lassen wir Ape mal seinen Job erledigen. Solange kommen wir hier eh nicht raus.“
„Und was machen wir in der Zeit?“
„Abhängen.“

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Vielen Dank für die Bildvorlage von erinnye. Schickt mir auch eure Bilder.

Stromer (Teil 1)

Stromer

Als ich mich umdrehte, wurde das ungute Gefühl zur Gewissheit: Man verfolgte mich. Ich ging schneller, während mir klar wurde, wie aussichtslos meine Lage war. Den Weg zurück nach Bree versperrten meine Verfolger, die sich jetzt, da ich den Wald hinter mir gelassen hatte, gar nicht die Mühe gaben, nicht aufzufallen. Um mich herum erstreckte sich eine Ebene, auf der kein Entkommen möglich war. Genauso gut konnte ich weiter der Straße folgen, meinen Schritt beschleunigen und hoffen, dass die Männer hinter mir nur zufällig denselben Weg hatten wie ich.

Diese Hoffnung erschien mir beinahe töricht. Nicht umsonst war ich am Morgen in aller Frühe aufgebrochen, nachdem mir meine Dummheit am Vorabend bewusst geworden war. Noch immer ärgerte ich mich über mich selbst. All meine Vorsicht hatte ich abgelegt, ausgelöst durch zu viel Bier und Wein im Gasthaus in Bree. Auch dem eigenen Stolz und der Eitelkeit gab ich die Schuld. Eigenschaften, die mir bis dahin an mir selbst weitgehend unbekannt gewesen waren. Doch wenn ein Mann ins Ungewisse aufbricht, kann eine plötzliche Wende zum Guten, ein unvorhergesehenes Glück, all seine Prinzipien durchkreuzen.

Vor den Unruhen in meiner Heimat war ich geflohen, den Grünweg hinauf nach Norden. Ein armer Mann, der alles aufgegeben hatte, ohne zu wissen, ob er je zurückkehren oder anderswo heimisch werden könnte. Nach vielen einsamen Wegstunden fand ich bei den Hügelgräbern auf den Höhen westlich der Straße einen Zwerg in Not, der zum Dank für meine Hilfe den Schatz mit mir teilte, der ihn erst in die missliche Lage gebracht hatte. Ein versöhnliches Ende für ein Ereignis, das ich schleunigst vergessen wollte.

Umso mehr dürstete es mich nach Gesellschaft, Bier und Gesang, die ich noch am selben Abend im Gasthaus in Bree finden sollte. Zu viel von allem, denn statt zu vergessen, begann ich zu prahlen und ließ auch die Schätze nicht aus, die mein Lohn gewesen waren.

Wie konnte nur mein Misstrauen so bald hinter den Nebeln des Rausches verschwinden? Und das obwohl mir bei meiner Ankunft in der Wirtsstube gleich mehrere der Anwesenden nicht geheuer vorgekommen waren. Allen voran ein großer Mann, der in einer dunklen Ecke saß, die langen Beine in hohen Stiefeln ausgestreckt, das Gesicht fast vollständig im Schatten seiner Kapuze verborgen, die zu einem fleckigen Mantel aus dunkelgrünem Stoff gehörte.

Zwar konnte ich sie aufgrund der Entfernung nicht unterscheiden, doch ich war mir beinahe sicher, dass dieser dunkle Geselle meine Verfolger anführte. Herr Butterblume, der Wirt des Gasthauses, hatte mir auf meine Nachfrage sogar seinen Namen verraten. „Seinen richtigen Namen habe ich nie gehört. Wir hier nennen ihn Stromer. Er ist einer vom wandernden Volk – Waldläufer nennen wir sie. An Eurer Stelle würde ich mich von ihm fernhalten.“